■ London im Clinch mit der Werbung der Prostituierten
: „Gebt den Nutten ein Telefonbuch“

London (dpa/taz) – Zehntausende illustrierter Visitenkarten von Prostituierten bedecken die Innenwände der Londoner Telefonzellen. „Gesucht: unterwürfige Männer“ – „Was Dein Herz begehrt und Dein Körper braucht“ – „Eine starke Hand gefällig?“. In der Regel sind die Karten farbig gedruckt und werben mit kurvigen Zeichnungen und suggestiven Abbildungen von Ketten und Peitschen für die einschlägigen Dienste. Anstoß daran nimmt jetzt der Stadtrat von Westminster, unter dessen Zuständigkeit der Großteil der Londoner Innenstadt fällt. Weil die Werbung nicht nur als Beleidigung fürs Auge und öffentliche Belästigung, sondern als „wahres Image-Problem für die Stadt“ empfunden wird, haben die Stadtväter dem werbenden Gewerbe den Krieg erklärt. „Es ist völlig klar, daß Anwohner und Touristen die Werbung als Zumutung empfinden. Sie wollen jemanden anrufen, dabei aber nicht von Nacktzeichnungen angemacht werden“, beschreibt Ratssprecher Paul McIntyre das „seit Jahren schwelende Problem“. Wurden in den belebten Stadtvierteln vor zwei Jahren noch pro Woche etwa 20.000 Karten aufgehängt, sei es jetzt mehr als das Fünffache.

Rechtlich können weder die Stadt noch ihr Hauptverbündeter, die Telefongesellschaft British Telecom (BT), etwas gegen die Werbekampagne tun. Vorschriften gegen Verschmutzung greifen nicht, weil die Karten nicht auf dem Boden liegen. Beschädigt werden die Wände der Zellen nicht, weil die Karten mit Klebestreifen oder -masse befestigt sind. „Es ist völlig legal“, stöhnt BT-Sprecher Paul Sharmon. Ein Versuch, einzelnen der werbenden Prostituierten die Telefonleitungen zu sperren, scheiterte kläglich. Die Aufsichtsbehörde schob dem ebenfalls wegen der fehlenden Rechtsgrundlage einen Riegel vor. Sharmon: „Wir sind machtlos.“ Inzwischen sind in London Säuberungskommandos im Auftrag von BT und Stadtverwaltung unterwegs und räumen die Wände ab. Fünf Minuten später sind sie allerdings wieder vollgespickt, und nicht nur in Bahnhofsnähe. Denn die Prostituierten heuern Jungen an, die für 100 Pfund (250 Mark) rund 500 Karten aushängen.

Eine Studie der University of Westminster über dieses Phänomen fand heraus, daß eine nicht im Bordell arbeitende, gutsituierte Prostituierte am Tag schätzungsweise 300 Pfund (750 Mark) Betriebskosten hat, ein Drittel davon für Werbung. In Ermangelung anderer Werbewege hätten sich die Karten als lukrativ erwiesen. Auf je 100 Exemplare komme ein neuer Freier. Davon profitiere auch die Post: Die Anrufe brächten rund 136.000 Pfund. Die Abräumkommandos kosteten mehr als 50.000 Pfund im Jahr.

Den Ausweg aus der Misere weiß Tony Devlin: Er ist Diskjockey und sammelt die kinky cards seit zehn Jahren. 600 Prachtexemplare füllen nun einen Hochglanz- Katalog, der – wie Devlin wegen der Seriosität ausdrücklich betont – von der Tate Gallery gedruckt wurde. Der Band „X-Directory“ ist gelb – wie die gelben Seiten des Telefonbuchs. Die Botschaft des Autors: „Gebt den Nutten ihr eigenes Telefonbuch.“ Das meint auch die Universitätsstudie. In anderen Großstädten Europas könnten Frauen ihre Angebote in Telefonregistern oder Zeitungsspalten unterbreiten. Grund zur Panik gebe es sowieso nicht, meint das Britische Touristik-Amt. Londons Image habe noch keinen Schaden genommen. Bisher beschwerten sich Touristen eher über Luftverschmutzung als über anstößiges Telefonzellen-Dekor. Im übrigen kämen einige Touristen ja gerade wegen des breiten Angebots sexueller Vergnügungsarten in die Großstädte. Marina Zapf