Eines Eigenbrödlers direktes Weltbild

Vereinnahmungskunst: Eine Ausstellung in Köln ehrt Wilhelm Leibl, Maler des bäuerlichen Realismus, und klärt dabei einige Irrtümer  ■ Von Ulrich Clewing

Für Gustave Courbet, den großen französischen Realisten, war er der „erste und einzige Kolorist in Deutschland“, ein anonymer Rezensent der Kunstchronik sah in ihm dagegen den „Maler des Häßlichen und Gemeinen“. Wilhelm Leibl (1844–1900) gerecht zu werden ist bis heute nicht einfach. Er selbst wußte freilich schon früh, wohin er gehörte: Eine Fotografie aus seinen Münchner Studientagen zeigt den jungen Mann mit allen Insignien eines Malerfürsten – wirres Haar, in die Ferne schweifender Blick, breitkrempiger Hut, Zigarre. Der sich da in herrschaftlicher Pose von einem unbekannten Fotografen portraitieren ließ, war selber Portraitist, einer der besten seiner Zeit.

Die Neue Pinakothek in München und das Kölner Wallraf-Richartz-Museum haben nun den 150. Geburtstag Wilhelm Leibls zum Anlaß genommen, das bis dato recht diffuse Leibl-Bild ein wenig aufzuklaren. Mit 91 Gemälden, 136 Zeichnungen und 19 Radierungen ist diese Ausstellung die umfangreichste seit 1929. Vergessen war Leibl in der Zwischenzeit nicht, im Gegenteil: Gemälde wie die „Drei Frauen in der Kirche“ (1878–81) oder „Die Wildschützen“ (1882–86) haben ihren festen Platz in staatlichen Museen, etwa der Pinakothek.

Bereits während der Studienzeit konnte Leibl seine ersten großen Erfolge verbuchen. Mit insgesamt vier Gemälden hatte sich der damals erst vierundzwanzigjährige 1869 an der 1. Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast beteiligt. Darunter befand sich auch das kurz zuvor fertiggestellte Portrait der schwangeren Mina Gedon, der Frau des Bildhauers und Architekten Lorenz Gedon. Dieses einfühlsame, ungeschminkt realistische Bild machte ihn schlagartig bekannt. Doch der Aufstieg war hart erkauft: Drei Monate lang saß Mina Gedon Modell, bis sie die Sitzungen wegen der Strapazen entnervt abbrach.

Ungewohnt direkt, an Rembrandt geschult

Auf Einladung des französischen Botschafters reiste Leibl noch im selben Jahr nach Paris, wo lukrative Portraitaufträge warteten. Allerdings war sein Aufenthalt in der Seine-Metropole nicht von langer Dauer. Bei Ausbruch des deutsch- französischen Krieges im Juli 1870 kehrte er nach Deutschland zurück.

Anders als in Frankreich waren die Reaktionen auf Leibls ungewohnt direkte, an Rembrandt und den Feinmalern des 16. Jahrhunderts geschulte Malweise hierzulande eher gedämpft. Leibl hatte seinen Ruf weg als „Parteigänger der äußersten realistischen Linken“. Dabei war er ein durch und durch unpolitischer Mensch. Ihm kam es allein darauf an, ein „ehrlicher Mann in der Kunst“ zu sein, mehr wollte er nicht. Er verachtete das „gefühllose, unkünstlerische Zeug“ der damals die Münchner Szene bestimmenden Historienmaler wie Karl von Piloty oder Wilhelm Kaulbach.

Auf der Suche nach „Natürlichkeit“ und angewidert vom hektischen Leben in der Residenzstadt, zog Leibl im Frühjahr 1873 von München aufs Land, zuerst nach Graßlfing in die Nähe von Dachau, dann nach Unterschondorf, Berbling, Bad Aibling und, als letzte Station, 1892 nach Kutterling.

Fortan malte Leibl Bauern der Umgebung, seine Künstlerkollegen Trübner, Schuch, Sperl, Bodenstein, Fischer, Kadeder sowie Kunden aus Landadel und gehobenem Bürgertum: Max Freiherr von Perfall (1876/77), den Baron Stauffenberg (1877), die Gräfin Treuberg (1877/78), den Bezirksarzt Dr. Julius Meyer oder die „Frau Apotheker M. Rieder“ aus Rosenheim (1893). In der ländlichen Abgeschiedenheit gelangen ihm seine besten Bilder: das Portrait des „Mädchens mit weißem Kopftuch“ (1876), das an niederländische Allegorien anknüpfende „Ungleiche Paar“ aus demselben Jahr, das klug und skeptisch dreinschauende „Bauernmädchen“ von 1879 oder die „Dorfpolitiker“ (1877), ein Gemälde, das leider nicht in der Ausstellung zu sehen ist. Die Männer und Frauen in seinen Bildern sind nicht die dumpfen, geschundenen Kreaturen, die Francois Millet gemalt hat, sie sind nicht bloß Staffage für süßlich- anekdotenhaften Kitsch wie bei Franz von Defregger, Ferdinand Georg Waldmüller oder dem fast vergessenen Robert Erberle. Sie sind Persönlichkeiten, Charaktere.

Jene Bilder aber waren es dann wiederum, die das sich hartnäckig haltende Mißverständnis begründeten, Leibl sei der „Maler der bajuwarischen Folklore“ gewesen. Diese Einschätzung läßt sich bis in die wilhelminische Epoche zurückverfolgen. Im aufkeimenden Nationalismus wurden seine Bilder mit einem Mal „urdeutsch“, die französischen Einflüsse von Courbet bis Manet mehr und mehr verleugnet. Schon 1906 beschrieb ihn dann einer seiner Biographen als „einen rasseechten Germanen“ und „glückliche Mischung aus süd- und mitteldeutschem Blut“. Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt zum „Bauern-Leibl“ der Nazis. Dabei verlieh Leibl seinen bäuerlichen Modellen, was den Nazis völlig und der Folklore zumindest vorübergehend abhanden gekommen ist: menschliche Würde.

Den Scharlatanen den Kampf angesagt

Auch hat Leibls Rückzug die Legende befördert, er sei zu Lebzeiten erfolglos und verkannt geblieben. Was schlicht falsch ist: Spätestens seit den achtziger Jahren wurde Leibl als einer der bedeutendsten deutschen Maler angesehen. Als er 1882 nach drei Jahren Arbeit an den „Drei Frauen in der Kirche“ das Gemälde in München, Paris und Wien ausstellte, erntete er begeisterte Kritiken und verkaufte das Bild schließlich für stolze 40.000 Reichsmark an einen deutschen Sammler. Auf der Weltausstellung in Paris 1889 war er mit einer großen Anzahl von Bildern vertreten und errang eine der Goldmedaillen. In der Münchner Jahresausstellung von 1891 hingen seine Werke zusammen mit denen seiner ehemaligen Lehrer Lenbach und Kaulbach im Ehrensaal. Aus der Eigenbrötlerei hat ihn die Anerkennung nicht holen können: Er hatte dem verlogenen Klüngel, den „Scharlatanen“, längst den Kampf angesagt.

Doch seine Rebellion gegen die herrschenden Verhältnisse war auf die Kunst beschränkt. Er war nicht sozial engagiert wie Gustave Courbet oder Fritz von Uhde in Deutschland. Als Courbet 1870 aktiv für die Pariser Kommune Partei ergriff, wendete sich Leibl verständnislos und enttäuscht von seinem Mentor ab. Er wollte „nur malen, was mir beliebt und wo ich will“. Eine Haltung, die nicht eines gewissen Biedersinns entbehrt. Seinem Bruder Ferdinand schrieb Leibl damals die Grundsätze seines sehr selbstgenügsamen Credos: „Ich arbeite und trinke denn am Abende am liebsten mein Bier in aller Gemütsruhe. Davon kann mich nun nichts abhalten.“

„Wilhelm Leibel zum 150. Geburtstag“, bis 23. 10. im Wallraf- Richartz-Museum, Köln. Der exzellent gemachte Katalog kostet in der Ausstellung 50 Mark.