Für Berlusconi boomt's nicht mehr

Der Versuch der „Forza Italia“, eigene Gewerkschaften aufzubauen, gerät ins Stolpern / Statt in Urlaub zu fahren, müssen die Mitglieder der Berlusconi-Clubs jetzt Klinken putzen  ■ Aus Porto Marghera Werner Raith

So schön war alles vorbereitet, die Reise nach Kenia mit Frau und Sohn inklusive einer Safari, „vom Chef persönlich genehmigt und bezuschußt“ – und das in Zeiten der Kurzarbeit: Gianni Dingino kann es kaum fassen, daß nun alles anders kommt. Kurzerhand hat „der oberste Kriegsherr (mit Namen Silvio Berlusconi) uns den Urlaub total vermasselt, gestrichen und uns statt dessen sechzehn Stunden Herumsausen und Klinkenputzen verordnet – und das, obwohl ja wegen der Ferienzeit sowieso keiner da ist, also Händchenschütteln bei Omas und Opas, die kaum kapieren, wovon du redest“. Die Safari macht jetzt ein Kollege, der Gianni die Karten für einen Spottpreis abgekauft hat – „ausgerechnet dieser Affe, aber sonst hatte keiner Geld parat“. Der „Affe“ ist eine Art direkter Konkurrent für Gianni: ein Funktionär der kommunistisch dominierten Gewerkschaft CGIL, aus der Gianni vor vier Monaten ausgetreten ist, um der neuen Bewegung „Forza Italia“ beizutreten und – auf längere Sicht – eine eigene Gewerkschaft auf die Beine zu stellen.

Als Sozialist und vormaliger Anhänger Bettino Craxis war er innerhalb der CGIL zwar stets in der Minderheit gewesen, aufgrund „höherer“ Absprachen und Quotierungen stets in der regionalen Leitung beschäftigt. Seit die Sozialisten zerfallen sind, gilt Gianni nichts mehr – oder vielmehr galt er nichts mehr, bis ihm ein Vertrauensmann Berlusconis ein Angebot machte. Das enthielt, glaubt man einigen Kollegen Giannis, nicht nur einen nennenswerten Betrag für den Aufbau eines „Clubs Forza Italia“ innerhalb der Chemietrusts des Industriegebiets, sondern auch ein hübsches Sümmchen zum Abbau privater Schulden. Gianni kann sich an derlei nicht erinnern, aber so ganz von der Hand zu weisen ist das nicht.

„Atmosphärische Störung“

So mancher aus dem früheren linken Gewerkschaftsumfeld ist nur knapp den Ermittlungsrichtern entronnen und hofft inzwischen unter den Fittichen der neuen Regierung auf Straflosigkeit. Nach einem Bericht von La Repubblica war just der allererste Promotor eines Belusconi-Clubs in Marghera, Antonio Cavaliere, in allerlei dunkle Geschäfte verwickelt, die bis zur Erpressung reichten. Mittlerweile fühlt er, ebenfalls ein Angestellter des Chemieriesen Enichem, „Rückenwind, die alten Sachen sind begraben“. Besser gesagt: Er fühlte Rückenwind, denn neuerdings ist da „wohl eine atmosphärische Störung aufgetreten“.

Im Klartext: Der noch vor einem Monat rapide Anstieg der Einschreibungen in die Berlusconi-Clubs, die in Industriegebieten als Keimzelle einer eigenen Gewerkschaft gedacht waren, ist abrupt zum Halt gekommen. Seit die Regierung Politiker und Manager mit einem Nacht-und-Nebel-Dekret aus dem Gefängnis geholt hat und der Unternehmer Berlusconi immer mehr über den Regierungschef Berlusconi dominiert, überwiegen die Austritte aus den Clubs. Bei den bisher erreichten knapp tausend Anhängern in Porto Marghera sind zweihundert Abtrünnige schon ein dicker Happen. Daher hat Berlusconi, der nach Gianni „absolut nicht einsehen will, daß die Schuld bei der Regierung liegt“, Sonderschichten für die Mitgliederwerbung und Urlaubssperre angeordnet.

Im Industriegebiet von Porto Maghera hängen in dieser Augustmitte die Dunstschwaden weniger dick über den Anlagen als sonst. Viele Betriebe haben ferienhalber geschlossen. „Rote Festung“ hieß Porto Marghera einst, als die Schlote der Eisen- und Stahlwerke rauchten, die Chemiegifte von Petrolchimico und Enichem einem den Atem stocken ließen, braune und gelbe Brühe in die umliegenden Bäche und Flüsse strömte und das Leben allenfalls relativ hohe Löhne, aber keine Freude mehr zuließ, was schließlich eine mächtige Arbeiterbewegung auf die Beine gestellt hat.

Heute ist die Umweltverschmutzung geringer, „aber nur aus Gründen niedrigerer Produktion“, wie Bernardo Voltan sagt, ein Mitglied der Umweltorganisation WWF. Auch er ist ein Neuzugang von Berlusconi und fischt derzeit in den „Revieren der Grünen nach Kunden“, wie er selbst sagt. Weshalb er auch hier in einer Stammkneipe von Ambientalisten und Linken täglich seinen Espresso schlürft. „Der Erfolg ist derzeit allerdings gleich Null. Hoffen wir auf das Ferienende, wenn wieder mehr Leute da sind, die möglicherweise aus Unzufriedenheit mit der Lahmheit ihrer eigenen grünen Abgeordneten anbeißen.“

Bernardos Frau Matilde, Lehrerin und gebürtige Mailänderin, vermutet den Grund für das neue Zögern der Arbeiterklasse gegenüber „Forza Italia“ allerdings woanders: „Berlusconi ist eine lombardische Erscheinung, als solcher fasziniert er wie einst die Ritter, die dem Kaiser trotzten. Doch kaum war der Kaiser so geschwächt, daß keine Gefahr mehr von ihm drohte, machten sich alle daran, die Führungsrolle Mailands zu schwächen. Plötzlich entdecken alle ihre Aversion gegen die Lombarden, plötzlich sind die nur noch herrische, ehrgeizige, unsympathische Fremdlinge. Hier im Veneto arrangiert man sich mit ihnen, solange man sie zu brauchen glaubt, dann schickt man sie zum Teufel; so war es mit Craxi, so ist es auch mit Berlusconi.“

So ganz paßt der Vergleich wohl nicht, und neben ihr in der Espressobar „dello sport“ grummelt denn auch einer Alter vernehmlich: „Daß ihr immer noch nicht kapiert, worum es geht – die Italiener wollen endlich jemanden haben, dem sie vertrauen können.“ Ein Chor von „Halt du bloß dein Maul!“ überstimmt den Alten. „Der ist von der ,Rifondazione‘“, erklärt Bernardo, „ein ganz unverbesserlicher Kommunist.“ Dann wendet er sich dem Kontrahenten zu: „Wenn hier alles verschmutzt und heruntergekommen ist, wenn hier die falschen Arbeitsplätze erhalten wurden und die richtigen neuen nicht entstanden sind, dann doch bloß wegen euch, die ihr an jedem Posten geklebt und jede Umstrukturierung blockiert habt.“

„Forza ladri“ – „Vorwärts Diebe“

Da lacht der Alte freilich und hebt den Kopf: „Stimmt, die Gewerkschaften und auch die KP haben viele Fehler gemacht. Der Unterschied zwischen euch und uns ist, daß wir sie einsehen, ihr aber genau diese Fehler wiederholen wollt. Jetzt nämlich seid ihr es, die alles so erhalten wollen, wie es ist – sofern die Leute nur zu eurer Bewegung „Forza ladri“ überlaufen ...“

Das mit den „Forza ladri“ hätte er nicht sagen sollen – es geht nur knapp an einer Schlägerei vorbei, denn auch der einstige Friedenskämpfer Bernardo läßt sich durch das Umtaufen von „Forza Italia“ (Vorwärts Italien) in „Forza ladri“ (Vorwärts Diebe) provozieren. Seit dem mißglückten Dekret zur Freilassung der Politiker hängt Berlusconis Gefolgschaft dieser vom Volksmund erfundene Terminus wie eine Klette an.

Bernardo und Matilde verlegen ihr Agitationsfeld jedenfalls kurz danach an einen anderen Platz und verteilen Flugblätter vor den Toren der Firma Petrolchimico. Vorsichtshalber steht freilich nichts von einer neuen Gewerkschaft darauf, allerdings werden die Gewerkschafter aller drei großen Verbände – CGIL, CISL, UIL – direkt angesprochen: „Mag sein, liebe Genossen“ – es heißt wirklich „compagni“ – „daß die neue Regierung hinsichtlich der Arbeitnehmer und der Umwelt noch nicht auf vollen Touren läuft. Aber warum sollten wir ihr nicht helfen? Tatsache ist, daß Berlusconi nun mal die nächsten vier, fünf Jahre regieren wird, und aus der Opposition heraus kann man dieser starken Kraft nichts aufzwingen. Versuchen wir es also von innen heraus. Kommt alle zur Gründung weiterer ,Clubs‘.“

Die „Clubs“, das Herzstück der Berlusconi-Bewegung, haben den Wahlerfolg ermöglicht. Nach Art von Fußballfanvereinen sind sie in ganz Italien üebr Nacht aus dem Boden geschossen, mit jeweils straff hierarchischer Struktur und direkter Anbindung der Militanten an den Wahlerfolg. Der Präsident jedes Clubs mußte zum Beispiel eine erkleckliche Summe in die Bewegung investieren, umgerechnet zwischen 500 und 20.000 Mark, je nach Gebiet, was sein Interesse an einem Erfolg von „Forza Italia“ beträchtlich stärken sollte. Für neue Mitglieder in Arbeitergebieten waren die Tarife von Anfang an sehr niedrig, man weiß ja, wieviel die Konkurrenz der Altgewerkschaften nimmt: Zwischen 100.000 und 200.000 Lire wollte „Forza Italia“ als Jahresbeitrag, umgerechnet 100 bis 200 Mark. Doch „heute verzichten wir auch darauf“, klagt Matilde, „und oft fragen wir die Leute gar nicht mehr, ob sie zu uns kommen wollen, agitieren lediglich für Wahlen und weisen auf die Kompatibilität von Mitgliedschaft bei der KP-Gewerkschaft und einer Stimmabgabe für Berlusconi hin“.

Clubs in einem „roten“ Umfeld

Bei den letzten Wahlen, denen zum Europaparlament, scheint das noch geklappt zu haben: Von 56 Prozent ist der Stimmenanteil der Linksparteien innerhalb von nur zwei Jahren auf 40 zurückgegangen, die Regierungskoalition hat statt dessen an die 35 Prozent erreicht, sogar die hier sonst bei drei, vier Prozent dümpelnden Neofaschisten sind auf fast acht Prozent gekommen. „Das sind nicht nur Protestwähler“, hatte der Altkommunist in der Bar eingeräumt, „das ist schon ein echter Sinneswandel, die Leute erhoffen sich von rechts, was sie von links nicht bekommen haben. Da müssen wir aufpassen.“

Draußen vor der Bar nickt Bernardo Gianni zu, der eben mit deprimiertem Gesicht von seiner ebenfalls erfolglosen Akquisitionstour zurückkommt, und nimmt Bezug auf den Alten: „Er hat recht, nur weiß er nicht, daß all das inzwischen mehr für uns als für ihn gilt. Wir spüren hier bereits wieder eine Stimmung, die alles umkehrt: Was die Leute von der Rechtsregierung nicht kriegen, erhoffen sie plötzlich wieder von denen, denen sie erst vor drei Monaten davongelaufen sind.“

Harte Zeiten also für die „Tute tricolori“, die dreifarbigen Monteursanzüge, wie die „Forza Italia“-Kämpen sich selber gerne nennen. Da hilft auch gar nichts, daß am Abend der Regionalbeauftragte vorbeischaut, ein Mann, der irgendwie als enger Verwandter Berlusconis durchgehen könnte – braungebrannt, mit unentwegt freundlichem Lächeln und glatten Formulierungen. Er weist darauf hin, „wie erfolgreich wir doch im Grunde schon sind: Allein in der Lombardei haben wir schon mehr als fünftausend Gewerkschafter zu uns herübergezogen, darunter waschechte Distriktsekretäre und Mitglieder gar der regionalen Führung.“ Tatsächlich weisen die Statistiken in der Gegend um Mailand ansehnliche „Clubs“ im Herzen traditionell „roter“ Einrichtungen aus – im Flughafen Linate zum Beispiel, im Justizpalast (wo die Antikorruptions-Sonderkommission „Mani pulite“ arbeitet), in Kliniken, bei der Müllabfuhr.

Von einer eigenen landesweit operierenden Gewerkschaft ist dabei allerdings noch nirgendwo offen die Rede – heute weniger denn je. „Keine schlafenden Hunde wecken“, sagt Gianni, „erst müssen wir zumindest in jeder Provinzhauptstadt ein Dutzend hochkarätiger, fähiger Gewerkschafter auf unserer Seite haben, dann können wir wieder einen Blitzstart à la Berlusconi hinlegen.“

Wann diese magische Zahl allerdings erreicht sein wird, darüber schweigt sich Gianni aus. Verbittert zeigt er eine Handvoll Papierfetzchen. Die hat ihm ein vor vier Wochen in seinen „Club“ hereingezogener Facharbeiter vor die Füße geschleudert, als er ihn, genau nach der Berlusconi-Anweisung sinnlich erfahrbarer Wohltaten, zum Abendessen einladen wollte: Es war sein Mitgliedsausweis der „Forza Italia“.