Feuer statt Gebet bringt Mullahs ins Schwitzen

■ Die Unruhen in der „Stadt des Rotweins“ wirken belebend auf Irans Opposition

Frankfurt (taz) – Der Freitagsimam von Ghazwin, Hudschatulislam Barikbin, ist ein beredter, wortgewaltiger Mann. Eine Stunde lang redete der Vertreter des iranischen Revolutionsführers der zehntausendköpfigen Menge, die seinen Sitz umzingelt hatte, ins Gewissen. Sie sollten die „Belange der islamischen Herrschaft“ über die eigenen Interessen stellen, der Weisheit ihrer Führer vertrauen, Ruhe bewahren und nach Hause gehen. Doch die rhetorischen Fertigkeiten des Mullah versagten vor dem Zorn der Masse. „Nieder mit der Regierung. Tod dem Parlament“, riefen die Demonstranten und zogen durch die Straßen. Zwei Tage lang stand Ghazwin in Flammen. Ein Zug von 30.000 Menschen steckte Regierungsgebäude, Banken und Polizeiwagen in Brand und lieferte den Revolutionsgardisten blutige Kämpfe.

Ausgelöst hatte die Unruhen in der letzten Woche ein Beschluß des iranischen Parlaments. Zu Wochenbeginn hatte die Mehrheit der Abgeordneten einen Antrag abgelehnt, dem Distrikt Ghazwin mit seinen 750.000 Einwohnern den Status eines „Ostan“, einer Provinz, zuzuerkennen. Als Ostan würde Ghazwin finanzielle und wirtschaftliche Vorteile und auch eine gewisse administrative Eigenständigkeit genießen.

Ghazwin, das Zentrum der gleichnamigen Region im Norden Irans, ist eine historische Stadt. In der Umgebung Ghazwins agierte im Mittelalter die radikale schiitische Sekte der Ismaeliten. Alamut, die Hochburg der „Haschischesser“, wie sie genannt wurden, liegt unweit von Ghazwin. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war Ghazwin Hauptstadt der Saffawidenherrscher, bevor sie Istahan als neuen Herrschaftssitz wählten. Unter dem Schahregime profitierte die Stadt am Fuße des Elburz-Gebirges von kaiserlicher Libertinage. Weinbau und die Weinproduktion waren die Hauptquellen des Wohlstandes der Ghazwinis. Als der Alkohol im Reiche der Ayatollahs verboten wurde, ging es mit der „Stadt des Rotweins“ langsam, aber sicher abwärts. Der Rang einer Provinz sollte den Niedergang der Region aufhalten.

Seit dem Ableben des Ayatollah Chomeini nimmt die Unbotmäßigkeit im Iran zu. Vor zwei Jahren kam es in mehreren Städten zum Aufruhr; 1993 war Zahedan unweit der pakistanischen Grenze Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen der sunnitischen Bevölkerung und Revolutionswächtern. Vor zwei Wochen demonstrierten Tausende von Menschen in der Stadt Nadschafabad gegen die Einsetzung eines neuen Freitagsimams. Die Bevölkerung wollte einen Obermullah aus dem Umkreis von Ayatollah Montazari, der aus Nadschafabad stammt und vor Jahren ins politische Abseits gedrängt wurde. 50 Menschen sollen ums Leben gekommen sein, wie die Oppositionsblätter meldeten.

Die klerikale Herrschaft hat Unruhen stets verschwiegen oder bagatellisiert. Doch über die Vorfälle in Ghazwin, das nur 180 Kilometer entfernt von Teheran liegt, wird in aller Ausführlichkeit in den Zeitungen berichtet. Das „Aufbegehren der muslimischen Brüder in Ghazwin“ sei berechtigt, lautet der gemeinsame Tenor der Presse, doch „radikale Elemente“ hätten die Unzufriedenheit der Bevölkerung ausgenutzt. Gleich nach dem Ausbruch der Unruhen eilte eine Delegation aus Teheran nach Ghazwin, um „zwischen Volk und Parlament zu schlichten“. Man werde sich mit den Beschlüssen des Parlaments befassen und eine gerechte Lösung finden. Ein weiteres Novum ist die Haltung des Militärs. Nach Meldung der im Iran tätigen Oppositionsgruppe „Partei der iranischen Nation“ hat Brigadegeneral Oskui, Chef der in Ghazwin stationierten Panzerdivision 16, sich geweigert, gegen die Demonstranten vorzugehen. Die iranische Armee sei zur Verteidigung des Vaterlandes da, und nicht dazu, auf Landsleute zu schießen, zitiert ihn das Parteiblatt.

„Die Morgenröte der Freiheit ist nah wie noch nie zuvor“, schrieb der Oppositionsführer Abdul Hassan Banisadr daraufhin in einer „Botschaft an das iranische Volk“. Der in Paris lebende Ex-Präsident forderte die Iraner auf, dem „ruhmreichen Beispiel Ghazwins“ zu folgen und sich gegen das „Mullatariat“ zu erheben. Ahmad Taheri