„An einen Sieg über die Junta glaubt niemand“

■ Der birmanische Oppositionelle Khin Maung Yin über die Festigung der Militärherrschaft in seiner Heimat: „Mittlerweile sind alle Widerstandsgruppen zu Verhandlungen bereit“

Khin Maung Yin ist Vorsitzender des „Burma Project“, einer Berliner Vereinigung politisch aktiver Exilbirmanenen. Als oppositioneller Student verließ Maung Yin Birma 1964, zwei Jahre nach dem Militärputsch. Er arbeitet heute als Diplomingenieur in Berlin.

taz: Sie unterstützen seit langem aktiv die demokratische Bewegung in Birma. War es ein Zufall, daß Sie im Juli, zeitgleich mit der Asean-Konferenz, zum ersten Mal seit dreißig Jahren ein Visum bekamen?

Khin Maung Yin: Möglicherweise, auch Aung San Suu Kyis Ehemann war ja zur selben Zeit da. Man könnte diese relative Freizügigkeit als ein Zeichen der Bereitschaft zum Dialog der Militärregierung SLORC (Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung) werten – genau das haben ja die Asean-Staaten gefordert. Außerdem scheint der SLORC sich seiner politischen Macht so sicher zu sein, daß die Anwesenheit einzelner oppositioneller Exilbirmanen keine Bedrohung mehr darstellt. Ich habe mein Visum allerdings nur unter der Auflage bekommen, alle politischen Gespräche im Land zu meiden. Deswegen war ich erstaunt, daß ich mich relativ frei im Land bewegen durfte. Noch vor einem Jahr war es üblich, daß Besucher wie ich alle zwei, drei Tage vom Geheimdienst kontaktiert wurden.

Was hat Sie im heutigen Birma am meisten überrascht?

Ich war erstaunt, wie wenig sich geändert hat, besonders auf dem Land. In meinem Heimatdorf in Zentralbirma zum Beispiel ist die Infrastruktur, die Elektrizitätsversorgung und die Kanalisation noch in genau dem Zustand wie zu dem Zeitpunkt, als ich ins Exil ging. Diese wirtschaftliche Stagnation wird besonders augenfällig, wenn man Birma mit seinen Nachbarländern vergleicht: Die Kluft ist riesig.

Wie beurteilen Sie die Versorgungslage?

Das Land ist zwar erschreckend arm, aber akut Hungerleidende habe ich nicht gesehen. In den Städten, auf den großen Märkten gibt es alles zu kaufen, aber die Preise für Grundnahrungsmittel sind dort sehr hoch. Um so verblüffender ist das riesige Angebot von Luxusgütern wie zum Beispiel Fernsehern oder Videorecordern aus Japan oder Singapur, die ganz legal zu Dumpingpreisen verkauft werden. Wahrscheinlich gelangen diese Waren über irgendwelche halboffiziellen Schwarzmarktwege zollfrei ins Land. Und es gibt auch Käufer für diese Luxusgüter – mittlerweile ist in Birma eine kleine Schicht sehr reicher Leute nicht mehr zu übersehen. Wirklich dramatisch scheint die Situation im Gesundheitswesen, besonders in ländlichen Gebieten, wo sich in letzter Zeit vermehrt Cholera und Lepra ausbreiten. Die medizinische Versorgung ist zwar kostenlos, aber es mangelt an Medikamenten, die sich die Patienten auf dem freien Markt selbst besorgen müssen. Das ist nicht nur kompliziert, sondern für die meisten Leute unerschwinglich. Das Gesundheitswesen wäre jetzt der wohl dringendste Bereich, wo sich Hilfsorganisationen aus dem Ausland engagieren sollten.

Wie organisiert ist die demokratische Opposition?

Mittlerweile sind alle Widerstandsgruppen zu Waffenstillstandsverhandlungen mit dem SLORC bereit – an einen militärischen Sieg über die Junta glaubt niemand mehr. Als Buddhisten haben die Birmanen ohnehin eine religiös stark verwurzelte Abneigung gegen Gewaltanwendung. Aber über die Frage, wie eine politische Lösung für Birma herbeigeführt werden kann, ist die demokratische Bewegung zersplittert. Aus der momentanen Desorganisation und Funkstille sollte man aber nicht einfach auf politische Passivität schließen. Die demokratische Massenbewegung 1988 begann auch ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel.

In letzter Zeit wird viel über den heiklen Gesundheitszustand des „Drahtziehers hinter den Kulissen“, des früheren Staatschefs Ne Win, spekuliert. Welche Konsequenzen fürchtet man bei seinem Tod?

Nach einer birmanischen Volksweisheit lebt derjenige lange, dessen Tod herbeigewünscht wird. Denkbar ist also, daß der SLORC selbst diese Gerüchte verbreitet. Ich glaube nicht, daß sich nach Ne Wins Tod die Armee zwangsläufig spalten wird. Es kann höchstens zu „Erbstreitigkeiten“ zwischen den Kronprinzen kommen. Die Armee ist im heutigen Birma eher als Wirtschaftsfaktor ein Problem, weil sie schätzungsweise 60 bis 80 Prozent des gesamten Staatshaushalts verschlingt. Allein deswegen muß endlich der Bürgerkrieg beendet werden. Interview: Dorothee Wenner