Schelte für Deckert-Richter von der Bundesregierung

■ Urteil wegen Rechtslastigkeit kritisiert

Berlin (AFP/taz) – So scharfen Protest der Politik hat ein Urteil eines Gerichtes schon lange nicht mehr hervorgerufen. Die Bundesregierung hat die „schlimmen Signale“ bedauert, die von der Urteilsbegründung des Mannheimer Landgerichts im Prozeß gegen den NPD-Chef Günter Deckert ausgegangen seien. SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen bezeichnete die schriftliche Begründung, die erst dieser Tage bekannt wurde, als den „unglaublichsten Justizskandal der Bundesrepublik“ in den vergangenen zehn Jahren. Er appellierte an die Justiz, deutliche Signale zu setzen, damit die Verharmlosung von Naziverbrechen gesellschaftlich geächtet wird.

Deckert war im Juni vom Mannheimer Landgericht wegen Leugnung des Massenmordes an Juden in Auschwitz zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. In der Urteilsbegründung wird der rechtsextreme Politiker unter anderem als „charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen“ bezeichnet. Betonung findet auch die Tatsache, daß Deckert seit fast 30 Jahren verheiratet ist und seine Tochter ihm bereits einen Enkel „geschenkt“ habe – Rechtsprechung vom Feinsten. Das Gericht bemängelte zwar, daß Deckert die Opfer des Holocaust lächerlich gemacht habe. Es wäre jedoch ganz in Ordnung gewesen, wenn er statt dessen das „ständige Insistieren der Juden auf den Holocaust auch noch nach nahezu 50 Jahren“ bemängelt hätte.

Auf Fragen nach Konsequenzen für den Vorsitzenden Richter im Deckert- Verfahren, Wolfgang Müller, verwies Regierungssprecher Schäfer auf die Unabhängigkeit der Justiz. Er betonte aber, die Bundesregierung habe an ihrer Entschlossenheit im Kampf gegen den Rechtsextremismus nie einen Zweifel aufkommen lassen. Für die Bundesregierung gelte, was Bundeskanzler Kohl am 20.Juli anläßlich des gescheiterten Attentats auf Hitler gesagt habe: „Wir dürfen und wir werden nicht nachlassen in unserer Wachsamkeit gegenüber den Feinden der Freiheit.“ Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie hatte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren gefordert. Auch der Verteidiger Deckerts, Ludwig Bock, hat Rechtsmittel eingelegt. Zutreffend analysiert er: „Wer die Urteilsbegründung liest, muß sich eigentlich fragen, warum Deckert verurteilt worden ist.“

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