Bei Langeweile kommen blöde Ideen

■ Mal wieder ein selbstgebastelter Sprengsatz im sozialen Brennpunkt Von Kaija Kutter

„Guckt mal, da ist das Sommerloch“, lästerte gestern ein Kameramann und hielt sich vor Lachen den Bauch. Ein Sprengsatz hatte in der Nacht im Bildungszentrum Steilshoop ein Loch in die Glasverkleidung zwischen Tür und Pförtnerhäuschen gerissen, nur handbreitgroß – so eine Enttäuschung aber auch.

Im Foyer gaben sich gestern die Journalisten die Klinke in die Hand. Zu den Scherben braucht man O-Töne. Genervt scheuchte die Dame am Empfang die Meute zur stellvertretenden Schulleiterin, die in den Ferien die Stellung hält. „Für mich ist das eine Lappalie“, sagte sie. „Ich sag einfach: Kein Kommentar“.

Schulleiter Dieter Maibaum war Mitte April gesprächiger gewesen: „Was die Medien den Schülern hier antun, kann man nicht wieder gutmachen“. Übertriebene Berichte vom „Bombenterror im Ghetto“ würden zu einer Diskriminierung des Stadtteils führen. Das ginge soweit, daß Schüler aus Steilshoop keine Lehrstellen bekämen.

In der Nacht zum 11. April hatte eine selbstgebastelte Rohrbombe die Glastür eines Aufenthaltsraumes aus der Fassung gesprengt, der vierte Vorfall seit September 1993. Kurios damals: Es existierten Fotos und ein Video vom Bau der Bombe und von der Tat. Material, das die Agentur Telepress an die Bild-“Zeitung“ und an Privatsender verkaufte – angeblich hatten es Unbekannte vor deren Haustür deponiert.

Der schreckliche Verdacht: Die Tat sei inszeniert worden, um sie an die Medien zu verkaufen. Die ungewöhnliche Professionalität der Videoaufnahmen sprach dafür. Ein paar Wochen später verhaftete die Polizei einen Fotografen, der gelegentlich für Telepress arbeitete, selbst in Steilshoop wohnt und Kontakt zur legendären Jugendgang „Ghetto Kings“ haben soll. Der Journalist war damals auch als erster am Tatort gewesen und hatte die Polizei alarmiert. Angeblich hatten die Täter ihn informiert. Das Ermittlungsverfahren gegen den Fotografen, der inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, laufe noch, bestätigte gestern Polizeisprecher Hartmut Kapp. Der jüngste Anschlag, so vermutet er, gehe wohl auf das Konto von Jugendlichen aus dem Stadtteil.

Doch die Nachfrage der Medien kann kaum alleiniger Auslöser für die insgesamt 15 Explosionen selbstgebastelter Sprengkörper sein, die die Polizei seit September 1993 registriert hat. In Steilshoop leben 4500 Jugendliche auf vergleichsweise engem Raum, ohne ausreichende Freizeitangebote. Die Innenhöfe der 25 ringförmigen Hochhäuser sind meist mit Spielplätzen ausgestattet und von Erwachsenen bewacht, für ältere Jugendliche bleibt dort kein Platz.

„Es stimmt schon, daß hier Bomben gebastelt werden“, hatte ein 17jähriger anläßlich eines früheren Vorfalls zur taz gesagt. Bei der ersten Bombe auf dem Schulhof sei er dabei gewesen: „Es hat Boom gemacht und wir fanden es alle geil, weil wir taub waren“. Es sei schon gefährlich, aber „wenn man Langeweile hat, kommt man auf blöde Ideen.“ Gottseidank kommen diese blöden Ideen immer nachts, wenn die Schule leer ist.