Krawalle - „super Happening“

■ Das Viertel ratlos vor den Comet-Krawallen nach Pop-Konzert / Polizei komnnte nicht schneller sein / Jugendfreizeitheim-Leiter erschüttert

„Da haben mindestens zweihundert drumrumgestanden und Beifall geklatscht, so nach dem Motto: Endlich mal wieder ein Super- Happening.“ Herbert Wiedermann, bei der Sozialsenatorin für Jugendfreizeitheime zuständig, war der einzige, der mit dem Finger auf das nächtliche Viertel-Publikum zeigte. (Wiedermann war in der Nacht zum Samatag aus dem Bett geklingelt und in die Friesenstraße beordert worden.) „Die haben doch dem Krawall einen unheimlichen Auftrieb verliehen.“

Niemand griff diesen Gedanken auf, als es am Mittwochabend um die Nachbereitung der Krawalle ging. Das Ortsamt hatte geladen: VertreterInnen der Sozialsenatorin, der Polizei, LadenbesitzerInnen, AnwohnerInnen – nur ein paar Handvoll Steintorsche waren gekommen, Augenzeugen zumeist, die das Puzzle der Nacht vervollständigen, und Lehren aus der Krawallnacht ziehen wollten. Das gelang auch. Die Institutionen werden ihre Hausaufgaben machen: In Zukunft wird es bei Konzerten im Jugendfreizeitheim in der Friesenstraße auch draußen vor der Tür einen Aufpasser geben. Aber welche Lehren denn die Viertel-BewohnerInnen ziehen könnten, das wollte kaum jemand wissen. Ob man sich denn dazwischenstellen solle, fragte der CDU-Beirat Michael Glintenkamp. Da mochte die Polizei lieber keine Ratschläge erteilen.

Das Treffen geriet zuerst fast zu einer Klagestunde gegen die Polizei: Die Polizei, die sei erst gekommen, als alles zu spät war, und heute laufen immer noch die Plünderer des Juwelierladens offen mit dem Schmuck rum. Doch das gab sich schnell. Nach allen kritischen Nachfragen ergab sich das Bild, das sich schon in den ersten Tagen danach herausgestellt hatte: Die Polizei hatte kaum anders handeln können. In einer Nacht wie dieser sind in ganz Bremen maximal 167 Polizisten im Dienst, in der fraglichen Nacht waren es 122, sagte der Einsatzleiter vom vergangenen Freitag. „122, das sind schlicht zu wenig“, konstatierte Carsten Frenz, Brillenhändler aus dem Viertel - und er griff den Satz eines Anwohners auf - „wenn man einem bissigen Hund einen Knochen wegnehmen will.“

„Bissig“, damit war vor allem eine Gruppe von Punks gemeint, die schon Stunden vor dem Konzert vor dem Freizeitheim campiert und getrunken hatten. „Die haben es drauf angelegt“, erzählte der Ex-Catch-Promoter Niko Selenkowitsch. „Das waren nicht die vom Ziegenmarkt, weil die vom Ziegenmarkt kenn ich alle. Schließlich wohne ich hier schon 29 Jahre.“ Selenkowitsch hatte einen Logenplatz auf das gesamte Geschehen.

Alle Aussagen zusammengenommen ist der Krawall von einer kleinen Gruppe ausgegangen, die sich auch während des Konzerts vor dem Freizeitheim aufgehalten hatte. Die, so die Beobachtungen, hätten die Polizisten, die zuerst gekommen seien, schon am Eingang abgefangen, sie hätten die Reifen des Polizeiwagens zerstochen, aus dieser Gruppe seien die ersten Barrikadenbauer gekommen. Und als klar war, daß es keine Ordnungsmacht mehr gab, da gab es kein Halten mehr.

Daß die Polizei gekommen war, davon hatten die Veranstalterinnen im Jugendfreizeitheim gar nichts mitbekommen. Die Konzerte werden von einer Gruppe aus dem Jugendfreizeitheim eigenständig gemanagt. Seit Oktober finden Konzerte statt, zweimal war die Polizei wegen ruhestörenden Lärms aufgetaucht, kein Problem, dann sei eben die Musik leiser gedreht worden, erzählte ein Betreuer der Konzertgruppe. Nicht im Traum haben alle Beteiligten gedacht, daß es zu derartigen Ausschreitungen kommen könnte. Joachim Kuhlmann, Leiter des Jugendfreizeitheims: „Wir hätten das nicht für möglich gehalten.“

Am vergangenen Freitag war die Veranstaltergruppe ausnahmslos im Saal, draußen war niemand postiert. Entsprechend überrascht waren die OrganisatorInnen, als ihnen zu Ohren kam, was draußen los war. Sie brachen das Konzert ab und ließen den Saal räumen. „Mehr konnte man zu dem Zeitpunkt nicht machen“, sagte Herbert Wiedermann. Diese Hilflosigkeit soll es in Zukunft nicht mehr geben. Bei allen kommenden Konzerten wird es draußen Aufpasser geben, um mögliche Konflikte rechtzeitig deeskalieren zu können. Aber bis es wieder Punk-Konzerte in der Friesenstraße geben wird, das kann dauern. Die nächsten Termine sind abgesagt. J.G.