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SanssouciVorschlag

■ "Muzik als Theater" in der Bar jeder Vernunft

Ernsthaft schauen die drei Herren in ihre großen Notenblätter. Dann fängt einer plötzlich an zu rascheln, die anderen knüllen das Papier geräuschvoll zusammen und zerreißen es in klitzekleine Stücke. Nur der Saxophonist bastelt einen Trichter aus seinem Blatt und trötet einen hohen Mißton heraus. Ein Trio für Papiertröte und zwei Notenblätter. Es folgt ein Quintett für zwei pfeifende Menschen und drei Diktaphone. Eins davon ist kaputt, so daß der Besitzer ärgerlich auf ihm herumtrommelt wie auf einem Schlagzeug.

Natürlich haben die drei Musiker von „Ars Vitalis“ auch richtige Instrumente. Mit gespielter Unsicherheit klammert sich Reinhard Josef Sacher am Hals seiner Gitarre fest und schielt mit ängstlich verzogenem Mund aufs Griffbrett. Peter Wilmanns, ein Meister des Saxophons, tritt dagegen mit souveräner Eleganz auf. Von seiner weltmännischen Erscheinung wiederum hebt sich der Schlagzeuger Klaus D. Huber wirkungsvoll ab. Sein massiver Körperbau, die buschigen Augenbrauen und der ungerührte Gesichtsausdruck, mit dem er Trommeln und Becken bearbeitet, künden von seiner bayerischen Herkunft, die er längst hinter sich gelassen hat: Das Trio ist sein zwanzig Jahren im rheinischen Leverkusen zu Hause.

In dem Programm „Muzik als Theater“ streift „Ars Vitalis“ spielerisch zwischen Free Jazz, Schnulze, Bebop und Volkslied herum. Oft bricht ein Stück plötzlich ab, um in ein völlig anderes Genre überzugehen. Und immer ist das Zusammenspiel perfekt. Ganz am Anfang ihres musikalischen Theaterabends schlurfen die drei scheinbar gelangweilt auf die Bühne, nehmen umständlich Platz und starren vor sich hin. Und dann aber beginnen sie ohne jede Vorwarnung ein rasend schnelles, schräges Stück, das sich immer höher die Tonleiter hinaufschraubt. Ebenso plötzlich brechen sie wieder ab: „Do samma!“ Die drei Musikclowns, die mit ernster Miene ein absurdes Virtuosenstückchen nach dem anderen vorführen, verständigen sich in einer Mischung aus Rheinisch, Bayerisch und Phantasiefranzösisch. Mit dem Hinweis: „Est-ce Schuh!“ präsentiert Huber seinen Mokassin, Sacher legt einen Kohlkopf hinein und Wilmanns intoniert: „Schuh-schubidu“. Bis es ihm reicht: „schuh weit, schuh gut!“ Und die drei unvermittelt eine schmatzende, zischelnde und glucksende Sprechfuge aus konkreter Poesie anstimmen. Tatsächlich: Theater ist Muzik. Miriam Hoffmeyer

Bis 28.8., Mi.–So., 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf (883 15 82)

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