Gegengegengegendarstellung

■ Wie schlimm ist das neue saarländische Pressegesetz wirklich? / Die Probe aufs Exempel steht noch aus

„Verrückt“, empört sich Bild, „makaber“ ruft, etwas distinguierter, der Berliner Tagesspiegel. Da darf doch ein schlagwütiger Ex-Familienvater haarsträubende Geschichten verbreiten, per Gegendarstellung in der Saarbrücker Zeitung: Sein kleiner Sohn habe „unvermutet in den Tisch gebissen und dabei zwei Zähne verloren“, und keinesfalls habe er das Nasenbein seiner Geschiedenen gebrochen, sie sei vielmehr von einem Kupferkabel getroffen worden.

Zum ersten Mal, so hören wir, wurden im Saarland dieser Tage die neuen Vorschriften für Gegendarstellungen angewandt, landauf landab als „Lex Lafontaine“ bekanntgeworden, die Rache des kleinen Königs, dem der Spiegel in der Pensions- und Rotlichtaffäre so übel mitgespielt hatte. Ab jetzt, so beschloß im Mai der saarländische Landtag mit seiner SPD- Mehrheit, sollte es für alle von den Medien Gedemütigten und Beleidigten leichter sein, auch ihre Version der Ereignisse zu verbreiten. Ohne, wie bisher, der Redaktion Gelegenheit zur unmittelbaren Antwort zu geben. Die Zeit kommentierte seinerzeit per „Gegendarstellung“: „Richtig ist: Weil die Politiker durch immer neue Skandale die Bürger in die Politikverdrossenheit treiben, wollen sie der Presse durch neue Gesetze einen Maulkorb verpassen.“

Vielleicht ist Oskar Lafontaine ja klug genug gewesen, erst einmal die „kleinen Leute“ in den Genuß seines Gesetzes kommen zu lassen. Wahrscheinlicher scheint: Der nächste Politskandal wurde nicht schnell genug aufgedeckt. Erster Anlaß wurde nun ausgerechnet eine Serie zum fünfzehnjährigen Bestehen des Saarbrücker Frauenhauses, in der mißhandelte Frauen berichten, wie sie dort hinkamen. Unter ihnen auch Lucia Kuhl, die ausführlich schilderte, wie ihr langzeitarbeitsloser Ex-Ehemann ihr seinerzeit die Nase gebrochen und dem dreijährigen Sohn zwei Zähne ausgeschlagen habe.

Daraufhin fühlte sich der (namentlich in der Geschichte nicht genannte) Ex-Ehemann diffamiert und schickte eine Gegendarstellung, unter vollem Namen: „Unrichtig ist, ich hätte sie geschlagen... Richtig ist, daß ich gegenüber meiner geschiedenen Frau nie gewalttätig war...“ Die Zeitung druckte brav ab. „Wir sind gesetzestreu bis auf die Knochen“, nennt das Lokalchef Dieter Gräbner. Man kann es allerdings auch vorauseilenden Gehorsam nennen – die Zeitung hätte die Gegendarstellung ja auch vor Gericht prüfen lassen können, wie es Absatz 4 des Paragraphen 11 vorsieht. Schließlich darf sie abgelehnt werden, wenn sie „ihrem Inhalt nach offensichtlich unrichtig ist“.

Doch die Lokalzeitung, „traditionell großzügig mit Gegendarstellungen“, so Vizechefredakteur Rainer Müller, druckte und verzichtete auch darauf, in derselben Ausgabe die Frau antworten zu lassen. Ursprünglich hatte Oskar Lafontaine eine solche „Gegengegendarstellung“ zwar verbieten wollen, mußte aber nach Protesten sein Gesetz abschwächen. Jetzt heißt es nur noch: „Eine Erwiderung darf nicht auf derselben Seite erfolgen und muß sich, sofern sie ... am selben Tag erscheint, auf tatsächliche Angaben beschränken.“

Die Saarbrücker Zeitung reagierte statt dessen am nächsten Tag mit einem neuen Interview, in dem Lucia Kuhl widerspricht und ihre Schwestern, Vater und Schwager als Zeugen nennt. Die Liste ist beeindruckend, die Verteidigung des Mannes hilflos und widersprüchlich: „Richtig ist, daß ich den Kontakt meiner Frau zu einer bestimmten Szene unterbunden habe. Ihre Freiheiten habe ich jedoch in keiner Weise eingeschränkt.“ Da müßte der Richter schon Dr. Wolfgang Müller vom Landgericht Mannheim sein (das ist der, der gerade die „berechtigten Interessen“ des Holocaust- Leugners Deckert gewürdigt hat), wenn er die Version des Mannes nicht als „offensichtlich unrichtig“ zurückweise.

Doch die Zeitung druckte ohne Zögern auch die nächste Gegendarstellung („...zwei Zähne sind im Tisch steckengeblieben...“). Auch dem Frauenhaus, das sich seinerseits durch die Darstellung des Mannes getroffen fühlte, bot man gleich noch eine Gegendarstellung an. Für das nachrichtenarme Sommerloch allemal besser als der spannendste Fortsetzungsroman.

Die Probe aufs Exempel für die Lex Lafontaine jedenfalls steht noch aus. Vielleicht vor dem Bundesverfassungsgericht, wo der Bund deutscher Zeitungsverleger jetzt Klage einreichen will. Michael Rediske