Armenisch-aserbaidschanische Kooperation

■ Mitglieder beider Sektionen der Helsinki Citizens Assembly setzten Gefangenenaustausch durch / Weitere Treffen an der Grenze sind schon geplant

Berlin (taz) – Seit sechs Jahren herrscht Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. Und seit genau zwei Jahren gibt es auch Versuche, eine neue Ebene der Verständigung zwischen den Bevölkerungen beider Länder zu finden. Damals, im August 1992, flog die Vorsitzende der aserbaidschanischen Sektion der „Helsinki Citizens Assembly“ (HCA), Arsu Abdulajewa, nach Jerewan, um „dem armenischen Volk den Frieden zu wünschen“. Wenig später reiste dann die armenische HCA- Vertreterin, Anait Bayandur, ins armenische Baku. Mittlerweile ist aus den Besuchen eine feste Zusammenarbeit geworden. Im Juni veranstalteten beide Sektionen der Bürgerbewegung ein Treffen in der Grenzstadt Idschewan.

In mehrwöchigen Verhandlungen mit den Behörden hatten die OrganisatorInnen die problemlose Einreise der aserbaidschanischen TeilnehmerInnen erreicht. Sieben Armenier, ein Karabach-Armenier und acht Aseris konnten nicht nur gemeinsam tagen. Es gelang ihnen auch, den Austausch von zwei Kriegs-, und fünf zivilen Gefangenen zu erreichen. „Am Anfang fand ich die Atmosphäre sehr gespannt“, berichtete eine Teilnehmerin, „doch als wir uns trennten, waren wir sehr traurig. Wir haben gemerkt, daß wir Freundinnen geworden waren.“

Die Treffen an der Grenze sollen zu ständigen Einrichtungen werden, für Mitte August sind bereits zwei weitere geplant. In zwei Grenzorten zwischen den verfeindeten ehemaligen Sowjetrepubliken sollen Jugendliche und Frauen aus beiden Ländern gemeinsam überlegen, wie der Gefangenenaustausch intensiviert werden kann. Arsu Abdualjewa und Anait Bayandur hatten schon lange den PLan, an der Grenze einen „Friedenskorridor“ einzurichten. Sie hoffen darauf, daß beide Seiten aus Furcht, die eigenen Leute zu treffen, diesen nicht beschießen würden. Seit dem Treffen im Juni scheint der Korridor nun keine bloße Utopie mehr zu sein. Da die Angst vor gezielten Behinderungen oder Anschlägen jedoch bleibt, will die HCA den genauen Termin des nächsten Treffens nicht bekanntgeben. „Für uns wäre es wichtig, wenn VertreterInnen der europäischen Sozialdemokraten, der Grünen oder der internationalen Friedensbewegung mit dabei wären“, so Anait Bayandur. „Dadurch würden sie eine nationale und internationale Aufwertung erfahren und die deutschen Politiker würden etwas für den Frieden in der Region tun.“

Deutsches Engagement gibt es bereits in einem anderen Bereich. In einem Brief, der unter anderem von dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau und der Grünen-Politikerin Christ Nickels unterzeichnet wurde, wird der armenische Präsident Lewon Ter-Petrosjan aufgefordert, etwa einhundert aserbaidschanische Kinder, die im Krieg festgenommen worden waren, freizulassen.

Die beiden HCA-Frauen, die im letzten Jahr den Olof-Palme- Friedenspreis erhielten, fühlen sie sich „von der Welt isoliert“. Da heute kaum jemand die Fahrtkosten in ein anderes Land bezahlen kann, würde sich die armenische und die aserbaidschanische HCA- Sektion sehr über Besuche von VertreterInnen deutscher Parteien, Organisationen und Bewegungen freuen. Bernhard Clasen