Pferde als Therapeuten

■ Neue Konzepte für Junkies auf dem Reiterhof Von Andrea Flebbe

Holger steht auf der Weide und streichelt gedankenverloren ein Pferd. „Zum ersten Mal lerne ich hier, Gefühle zu haben und für mich zu sein“, sagt der 30jährige. Holger saß zwölf Jahre lang im Gefängnis. Dort kam er mit Drogen in Kontakt; sechs Jahre war er abhängig. Nun will er, auf Bewährung entlassen, von der Drogensucht loskommen. Das versucht er auf dem Therapiehof Beoth Noach (Arche Noah), der im Mai vor den Toren Hamburgs eröffnet wurde.

Unter Trägerschaft der evangelischen Kirche soll in Toppenstedt ein neues Therapiekonzept umgesetzt werden: Das Pferd als „Therapeut“. Bislang wurden Pferde nur im Rahmen des heilpädagogischen Reitens mit motorisch und spastisch Behinderten eingesetzt. Auf dem Therapiehof in Toppenstedt können nun zwanzig „Drogis“ in einer zwölfmonatigen Therapie von ihrer Sucht loskommen und dabei neue Erfahrungen sammeln.

Dazu gehört die Berührung mit den Pferden. In Übungen umarmen sie die Tiere, liegen auf ihnen und können so ein ganz neues Körpergefühl und damit auch ein neues Sicherheitsempfinden entdecken. „Das Gefühl getragen zu werden und Körperwärme zu spüren, fehlt vielen einfach. Bei uns können sie Beziehungen aufbauen und ihr Sozialverhalten schulen“, beschreibt Pastor Hartmut Walter, einer der Leiter des Therapiezentrums, den Ansatz: „Viele unserer Klienten brauchen zudem Zuhörer, die nicht widersprechen“.

Elf Pferde stehen den Drogensüchtigen in Toppenstedt zur Verfügung. „Ein Pferd ist wie ein Mensch. Es hört mir zu, wenn ich ihm von mir erzähle und es spürt, was ich fühle, wenn ich es streichele. Wenn Hayat mich sieht, kommt er auf mich zu und wiehert“, schwärmt der 22jährige Sven. Für ihn ist es leichter, mit dem Pferd über seine Probleme zu sprechen, als offen in der Gruppe.

Neu an der Therapie auf dem Hof Beoth Noach ist auch der untypische Freiraum der „Drogis“. Dazu gehören nicht nur gelegentliche Ausritte, sondern auch die Einkäufe bei dem Dorfkrämer, Fahrradtouren ohne die Gruppe oder Ausflüge mit besonderen Pferdenarren zu Zuchtschauen.

„Bei uns haben sie die Möglichkeit, freier zu leben. Wir haben keine Kontaktsperren, wie es sie in anderen Einrichtungen gibt“, meint Stefan Mahling aus der Leitung des Therapiehofes. „Wir wollen unseren Drogis Stück für Stück mehr Verantwortung übergeben“, macht Walter klar. Dazu gehört nicht nur die Pflege und Patenschaft der Tiere oder der Bau eines Aufenthaltsraumes, sondern auch die Schlüsselgewalt für das abendliche Abschließen am Wochenende.

Nicht alle der „Drogis“ haben sich aber nur der Pferde wegen für Beoth Noach entschieden. Der 32jährige Andreas sieht den Hof als seine letzte Chance. 18 Jahre hat die Drogenabhängigkeit an ihm gezehrt. Daß er nach Toppenstedt kam, lag an seinem Sohn, den er in anderen Einrichtungen während der Therapie nicht sehen könnte.

Konzeption und Realisierung der Arche Noah wurden auch von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Hamburg unterstützt. 5,1 Millionen Mark hat die Therapiestation nach Angaben von Jürgen Soltau, Leiter des Kirchengemeindeverbandes Hamburg-Altona, bislang gekostet. Finanziert wird sie durch den Kirchengemeindeverband, Kredite, Spenden und den Pflegesatz der Kostenträger.

Bereits drei Monate nach dem ersten Einzug ist Beoth Noach voll belegt. Abgebrochen hat bislang nur ein einziger.