Die Kunst des Widerstands

■ Olga Bontjes van Beek, Tänzerin und Malerin hat fast ein ganzes Jahrhundert erlebt

„In Fischerhude war immer der Sternenhimmel so klar.“ Auch wenn die Sehkraft der Augen langsam schwächer wird, die Fixsterne im Leben einer Malerin verblassen nie. Am Wochenende wird die Künstlerin Olga Bontjes van Beek ihren 98. Geburtstag feiern - und sie malt immer noch.

Neben der Künstlerin gilt das Interesse einer herausragenden Zeitzeugin. Vor ihren Augen ist nicht nur das ganze Jahrhundert abgelaufen, die Familie Bontjes van Beek hat auch, als andere vollauf damit beschäftigt waren wegzuschauen, eingegriffen. So gilt die Ehrenausstellung im Magdeburger Dom, zu der Helmut Schmidt vor zwei Wochen die Laudation hielt, nicht nur den Bildern der Malerin und ihrer Tochter, sie gilt dem Engagement dieser Familie im deutschen Widerstand, der Cato van Beek das Leben gekostet hat.

Als Olga Bontjes van Beek 1896 in dem kleinen Dörfchen Fischerhude geboren wird, bestimmen noch ganz andere Koordinaten das Lebensgefühl. Der Vater Heinrich Breling beispielsweise trägt den Titel königlicher Professor und Hofmaler Ludwig II. von Bayern. Die Mutter Amalie, Tochter eines Münchner Weinhändlers, prägt die Atmosphäre in der Familie durch Musik.

Olga selbst, sie meint sich noch heute an den Moment zu erinnern, beschließt im selbstbewußten Alter von sechs Jahren: Sie will Tänzerin werden. Ab nun würde trainiert. „Meine Übungen machte ich mir selbst, die hohen Türklinken wurden heimlich, damit die Mutter es nicht sah, mit dem Fuß geöffnet.“

In den nächsten Jahren ist Olga umgeben von den großen Namen der Kunstszene. Schwester Louise heiratet Otto Modersohn. Sie selbst ist 1911 für einige Monate zu Gast beim Ehepaar Hoetger in Florenz. 1914 erhält sie ein Stipendium zum Besuch der Isadora-Duncan-Schule in Darmstadt, wo die Kunstrichtung der Zeit ihr Zentrum gefunden hat: Der Ausdruckstanz. Durch Rainer Maria Rilkes Empfehlung lernt sie die berühmte Tänzerin Sent Máhesa kennen. Für Olga sind die Jahre vor und nach dem Ersten Weltkrieg ausgefüllt mit Tourneen und anregenden Begegnungen. „Ich hab damals die modernen französischen Komponisten nach Deutschland gebracht. Debussys „Claire de lune“ habe ich getanzt, das war ganz was Neues, sowas machte doch niemand sonst.“

Achtzig Jahre später lehnt die Künstlerin sich im Sessel zurück. Die beiden Handstöcke, die ihr mittlerweile bei den Wegen durch's Haus zur Hilfe dienen, sind gerade lästig, wollen immer wieder zu Boden gleiten. Aber die alte Dame läßt sich nicht lang verärgern, gleich nimmt sie sie wieder auf und verwandelt die hölzernen Gesellen in lebendige Wesen, spricht mit ihnen, wie mit schwierigen Handpuppen, Kindern , die zur Ordnung gerufen werden wollen. Eine Lebenshaltung voll Güte und spitzbübischer Heiterkeit scheint die Künstlerin zu tragen, eine innere Stütze die es ihr ermöglicht hat, die Schmerzen, die ihr die Machhaber des drittes Reiches bereiteten, zu ertragen.

Nachdem Olga Breling ihren Mann Jan Bontjes van Beek in Worpswede auf Vogelers Barckenhoff kennen gelernt hat, tanzt sie noch ein paar Jahre erfolgreich. Man heiratet, aber bald sind die Anforderungen, die die drei kleinen Kinder Mietje, Cato und Tim an die Mutter stellen, nicht mehr mit einer Karriere als Tänzerin zu vereinbaren. Ans Haus gebunden und aus der Not heraus erinnert sich die junge Frau nun an die Ausbildung und Schulung duch den Vater. Sie beginnt wieder zu malen, und entwickelt als Autodidaktin Themen und Techniken der die Malerin Olga bis heute treu geblieben ist. Besonders ihre Portraits von Freunden verraten eine genaue Beobachtungsgabe und die Menschenkenntnis eines reichen Lebens.

Zu den Freunden, die im Hause ein- und ausgehen, gehören neben den schon erwähnten KünstlerInnen auch Clara Rilke-Westhoff, Franz Radziwill, der hannoversche Philosoph Theodor Lessing sowie von Jugend an Helmut Schmidt. Heirich Vogeler, kam 1931 zum letzten Mal und fragte: „Wollt ihr nicht alle mit mir nach Rußland gehen? Hier geht ihr schrecklichen Zeiten entgegen.“ Im Jahre 33, als sich in Deutschland die Stimmung unwiederbringlich ändert, scheitert die Ehe zwischen Jan und Olga Bontjes van Beek endgültig. Während Olga in Fischerhude bleibt, zieht Jan nach Berlin. Von nun ab pendeln die beiden Töchter zwischen der Großstadt und der ländlichen Idylle.

Während ihrer Studienzeit betreuen Mietje und Cato französische Kriegsgefangene. Diese Tätigkeit, bringt die jungen Frauen in Gefahr. Mietje verläßt Berlin wegen einer schweren Erkrankung. Ihre Schwester Cato schließt sich in den nächsten Monaten der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ an. Sie verfaßt Flugblätter, ihre Begründung an die Eltern denkbar einfach: “Wenn ihr Alten nichts tut, müssen wir Jungen ja handeln“ Mietje erinnert sich “Nein, Angst haben wir damals nicht gehabt, dazu waren wir beide viel zu dicht dran.“ Im Herbst 1942 wird der gesamte Kreis der Widerstandsgruppe, in dem sich auffällig viele Frauen befanden, verraten. Am 20. September verhaftet man Cato van Beek. Am 5. August 1943 wird sie im Alter von 22 Jahren hingerichtet. Selbst die Bauern in Fischerhude, die sich mehrheitlich dem Nationalsozialismus zugewandt hatten, reagieren auf den Tod der leidenschaftlichen jungen Frau mit Entsetzen.

Olga Bontjes van Beek erinnert sich noch heute an den Moment, als der Dorfpostträger die Todesnachricht zustellt. Mietje, die nur zufällig der Verhaftung entkommmen ist, bekennt:“ Catos Tod hat mein Leben nachhaltig verändert. Es gibt seitdem einfach ein Schuldgefühl, daß ich sie allein gelassen habe.“ Ihren Niederschlag haben diese Erlebnisse in der Malerei der Schwester gefunden. Immer wiederkehrende Motive auf den Bildern in dunklen Brauntönen, sind Schienenstränge. „Ich habe die Geräusche der Berliner S-Bahn immer noch im Kopf, die Züge mit denen die Menschen abtransportiert wurden, fahren seitdem durch meinen Bilder.“ Mietje Bontjes van Beek, die ihre Bilder so kennzeichnet stellt zur Zeit gemeinsam mit ihrer Mutter bis zum 30. September im Magdeburger Dom aus.

Wie sie die Gegenwart jetzt erlebt? Sorgen machen ihr Ausschreitungen, wie die in Hannover vom letzten Wochenende. Das müßte man genauer wissen, wer das eigentlich ist, wer da wieder die Mitläufer sind. Aber belastet fühlt sie sich nicht mehr. „Zum Glück gibt's noch den Sternenhimmmel und der ist über Fischerhude immer noch derselbe.“

Susanne Raubold