Press-Schlag
: Streik auf Streik

■ Baseballer verweigern die Arbeit und Zuschauer ihre Begeisterung

„Don't do it“, flehte Nike, der Sportartikelgigant, in Zeitungen ganzseitig. „Laßt Amerika nicht im Stich!“ flehte Präsident Bill Clinton höchstselbst. Vergeblich. They just did it.

US-Sport-Amerika streikt. Alle 28 Baseball-Profiteams. Mitten in der Saison. Kurz vor den Play-offs geht nichts mehr. Industriezweige bangen um verlorene Millionen, TV-Stationen stehen vor dem Blackout. „Ein schreckliches Ende einer Sommerleidenschaft“ titelte die Los Angeles Times. So schrecklich, daß nun auch die Fans sauer sind – Tenor: Was die können, können wir schon lange – und ihrerseits für die neue Saison einen Zuschauerstreik angekündigt haben. Aufhören!

Um was es bei Sportverweigerung geht? Natürlich, ums Geld. Dabei: Es war ein so schöner Sommer. Einer, der versprach, einer der besten aller Zeiten zu werden. Durch die neueingeführte Aufteilung der Divisionen (drei statt zwei) und Erweiterung der Play-off-Plätze sollte der diesjährigen Baseballsaison zusätzliche Spannung für die pennant races (etwa: die Jagd nach den Play-off-Plätzen) eingeimpft werden.

Die Stadien waren voll, die Begeisterung im ganzen Land riesengroß, und auf dem diamantförmigen Spielfeld gerieten plötzlich unerreichbare Meilensteine der Baseballgeschichte (wie etwa Lou Gehrigs 2.130 Spiel in Folge oder Roger Maris' geweihte Marke von 61 Homeruns in einer Saison) ins Wanken. Die boys of summer, wie die Baseballspieler fast zärtlich genannt werden, schienen einmal mehr die Nation in kollektiven Überschwang zu versetzen. Und nun dieses.

Der amerikanische Baseballtraum ist jäh zu Ende. Seit heute haben alle Spieler der beiden höchsten Profiligen Lederhandschuh und Holzkeule zur Seite gelegt. Die Spieler haben zum unbefristeten Streik ausgerufen. Der achte Ausstand der letzten 22 Jahre findet mitten in der entscheidenden Phase der Saison statt, die dieses Jahr in sportlicher Hinsicht alle Erwartungen übertraf. Insgesamt 15 der 28 Teams konnten sich noch ernsthafte Chancen auf die Play-offs ausrechnen.

Doch jetzt wird anders gerechnet. Grund für diesen radikalen Schritt ist ein seit Jahren schwelender Streit zwischen den Besitzern der einzelnen Organisationen und den in einer mächtigen Gewerkschaft organisierten Spielern. Dabei geht es weniger um die thrills & kills auf den Spielfeldern als um grasgrüne Dollarnoten, denen beide Parteien mit identischer Verve nachjagen.

Hauptstreitpunkt ist ein von den Besitzern gefordertes salary cap (Gehaltsmaximum), das jedem Team auferlegt werden soll. Zudem wollen die Klubbesitzer eine gleichwertigere Aufteilung der Einnahmen zwischen Spielern und Vereinen. Damit soll zum einen eine drohende Zweiklassengesellschaft verhindert werden, die den finanzstärksten Organisationen zwangsläufig auch die stärksten Spieler zuschustern würde.

Bisher müssen laut Satzung 53 Prozent aller eingenommenen Gelder für Spielergehälter ausgegeben werden. Professionelles Baseball sei kurz vor der finanziellen Nierenkolik, heißt es aus den Reihen der Magnaten, und die hohen Spielergehälter schuld daran. Die Profis bezweifeln ihrerseits die angeblich kritische Finanzlage ihrer Arbeitgeber und fordern Einsicht in die Finanzbücher.

Die Anerkennung des salary cap ist oberstes Gebot, andernfalls „bräuchten die Spieler gar nicht erst am Verhandlungstisch zu erscheinen“, so Dick Ravitch, seines Zeichens Hauptunterhändler der Besitzer, ausgestattet mit Hardliner- Qualitäten.

Die Spieler (durchschnittliches Jahresgehalt 1,2 Millionen Dollar) sehen in diesen Forderungen in erster Linie ein taktisches Geplänkel, das sie in der Öffentlichkeit diskreditieren soll. Sie insistieren, so als ob sie minderbemittelten Lohngruppen zuzurechnen wären, auf einem Rentenplan, einem erhöhten Mindestgehalt und der Einsicht in die Bücher.

Ihr Unterhändler, Don Fehr, vermutet in den kategorischen Vorschlägen der Arbeitgeberseite das Schlimmste und beruft sich auf historische Ereignisse: „Das klingt wie München 1938. Da wurde der britische Prime Minister Neville Chamberlain von Adolf Hitler ebenfalls weichgeklopft.“

Fakt ist: In US-Amerika sind Profisportler in der Regel Besitztum ihrer Arbeitgeber. Jahrelang haben sie um eine bessere arbeitsrechtliche Position gekämpft. In Grundzügen ähnelt das jetzige Verhältnis zwischen Spielern und Clubbesitzern noch den ausbeuterischen Methoden der Großindustriellen des vergangenen Jahrhunderts.

Wie Leibeigene werden die Spieler oft in den ersten Jahren behandelt, wenn sie an den Verein, der sie gedraftet hat, gebunden sind, und meist nur durch ein gewerkschaftlich ausgehandeltes Mindestgehalt entlohnt werden. Nicht selten werden sie dabei behandelt wie Ware, die getauscht, gelagert und verhökert wird.

Selbst gutverdienende Spieler wie Delon Sanders, derzeit einziger professioneller Sportler in Amerika, der gleichzeitig Baseball und Football auf höchster Ebene spielt, sind vor diesem System nicht gefeit. Erst im Mai dieses Jahres wurde Sanders, als er sich für ein Spiel der Atlanta Braves bereit machen wollte, mitgeteilt, daß er nach Cincinnati getauscht worden sei. Die Begründung: Es gebe zu viele Linkshänder im Team der Braves. Am Tage danach wurde er von der berüchtigten Clubbesitzerin der Reds, Marge Schott, getätschelt und der Presse von Cincinnati präsentiert.

Erst nach sechs Jahren erhalten die Spieler den Status des free agent, der es ihnen erlaubt, mit allen Clubs frei zu verhandeln. Dabei kommt es oft zu Gehälterexplosionen (Durchschnittsgehalt in den major leagues: derzeit über eine Million Dollar), welche die Besitzer heute anprangern und für untragbar erklären. Andreas Lampert