„Überall einsatzfähig und einsatzbereit“

■ Interview mit Generalmajor John Schellemans, Kabinettschef im belgischen Verteidigungsministerium, über die Reform der Armee und das Ende der Wehrpflicht

taz: Herr Generalmajor, Ihre Regierung hat Anfang des Jahres die Wehrpflicht abgeschafft und will die Zahl der Soldaten von 100.000 auf 40.000 zurückschrauben. Wieviel sparen Sie?

John Schellemans: Das Verteidigungsbudget wurde für die ganze Übergangsphase von 1992 bis '96 auf 98 Milliarden belgische Francs (ca. 5 Milliarden Mark) eingefroren. Wichtigster Sparposten war der Abzug der belgischen Truppen aus Deutschland – statt 20.000 sind dort jetzt nur noch 2.500 Mann.

Eine Armeereform, weil der Gegner fehlte?

Das Ende des Kalten Krieges und die politischen Veränderungen in Europa sind natürlich einer der Gründe. Die Analyse der heutigen Situation hat uns gezeigt, daß der Schwerpunkt mehr auf UNO- Missionen liegen wird – also friedenschaffende und friedenerhaltende Einsätze. Für diese Aufgabe braucht man eine andere Armee: überall einsatzfähig und einsatzbereit.

Und deshalb haben Sie die Wehrpflicht abgeschafft?

Sicher hat der Wehrdienst seine Vorteile, wie zum Beispiel die sportliche und soziale Erziehung junger Leute. Aber hier in Belgien war die Situation unhaltbar geworden. Erstens wurde die Wehrzeit immer weiter reduziert, zum Schluß auf nur noch sechs Monate – kaum ausgebildet, wurde der Rekrut schon wieder ausgemustert. Der Nutzen für uns war minimal. Zum zweiten bot unsere Gesetzgebung eine Menge Ausnahmen vom Wehrdienst. Nur jeder zweite Mann mußte tatsächlich zur Waffe greifen. Die Öffentlichkeit brachte dafür immer weniger Verständnis auf. Letzter Grund: Wenn man die Armee auf internationale Friedensmissionen ausrichtet, stellt sich die Frage, ob man dort überhaupt noch Wehrpflichtige einsetzen kann. Schließlich haben Friedensmissionen nichts mit der Landesverteidigung zu tun.

Wie hat sich das Verhältnis zu den internationalen Partnern verändert?

Die Mitgliedschaft in der Nato ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt unserer Verteidigungspolitik. Aber die USA können nicht länger die Hauptlast der Nato tragen. Deshalb schaffen wir langsam eine europäische Säule der Nato. Das Eurokorps ist ein Ergebnis. Außerdem haben wir unsere Kriegsmarine mit der niederländischen Marine zusammengelegt. Über ähnliches reden wir in anderen Waffengattungen. Ich glaube, daß es einem kleinen Land leichter fällt, neue Mittel und Wege der Zusammenarbeit zu finden, und es so vielleicht ein Beispiel für andere sein kann.

Können Sie sich vorstellen, daß sie die Armee irgendwann wieder vergrößern?

Nein, aber das kann man nie wissen. Wir sind im Rahmen der Nato geblieben, einer Organisation, die auf alles vorbereitet ist. Auf jede Gefahr, auch wenn wir zum Beispiel Morgen Probleme mit den arabischen Ländern bekommen. Bei uns wurde die vielbeschworene Friedensdividende in die Abschaffung des Wehrdienstes investiert.

Ist Belgien ohne eigene Armee denkbar?

Die Armee vollständig abzuschaffen ist undenkbar – man schafft ja auch die Polizei nicht ab, Diebe gibt es immer. Die Armee ist nicht nur zur Landesverteidigung da, sondern auch, um in kleinere Konflikte einzugreifen, auch auf nationaler Ebene. Kennen Sie ein Land ohne Armee? Das gibt es bis jetzt nur in Island. Interview: Britta Hilpert, Brüssel