Plötzlich tiefschwarz

Ethnische Minderheiten in US-Medien  ■ Von Andrea Böhm

Jeden Montag erwartet den amerikanischen Zeitschriftenleser die gleiche Frage: Time oder Newsweek? In welches der beiden größten US-Nachrichtenmagazine man 2,95 Dollar investieren will, bleibt oft der Laune oder dem Zufall überlassen. Häufig präsentieren beide die gleiche Themenauswahl mit leichten stilistischen Variationen, ohne dadurch die Meinungsvielfalt nachhaltig zu beleben.

An jenem 27. Juni 1994 hatten beide Blätter nicht nur den gleichen Aufmacher, sondern auch noch das gleiche Titelbild: Das Polizeifoto des schwarzen Football- und TV-Stars O.J. Simpson, der kurz zuvor wegen Mordverdachts verhaftet worden war. Ausgerechnet an diesem Tag unterschied sich Time jedoch ganz besonders deutlich von der Konkurrenz: Während Newsweek das Foto im Original abgedruckt hatte, hatte man bei Time einen Künstler beauftragt, der auf Grundlage des Polizeifotos eine Computerillustration anfertigte. Simpsons dunkelbraunes Gesicht erschien plötzlich tiefschwarz, Nase und Wangen warfen unnatürliche Schatten, der Blick wurde in der Time-Version teilnahmslos und leer. Die Überschrift: „Eine amerikanische Tragödie“. Gemeint war der Abstieg eines Nationalhelden zum Mordverdächtigen.

Höchst unfreiwillig hatte die Time-Redaktion damit auf eine ganz andere amerikanische Tragödie hingewiesen: das bewußte und unbewußte Spiel mit der Angst der Weißen vor schwarzen Männern. Es hagelte empörte Leserbriefe und Stellungnahmen von weißen wie schwarzen Politikern, Lesern und Pressekollegen. In der nächsten Ausgabe druckte die Chefredaktion eine ganzseitige Erklärung und implizite Entschuldigung ab.

Doch die Welle der Entrüstung war auch dann noch nicht abgeebbt, als sich Wochen später über 5.000 US-Journalisten aus ethnischen Minderheiten in Atlanta zu einer Mammutkonferenz mit dem Titel „Unity '94“ versammelten. Das Time-Cover vom 27. Juni erschien der Mehrheit exemplarisch für die Stereotypisierung von Afroamerikanern als potentielle Kriminelle in der US-Gesellschaft nach dem kruden Motto: Je schwärzer, desto gefährlicher.

Deutsche Beobachter mag solch vernichtende Kritik zunächst erstaunen. Im Gegensatz zur ethnischen Homogenität, die nach wie vor die Medien in der Bundesrepublik beherrscht, sind Schwarze, Asian-Americans oder Hispanics als Nachrichtensprecher, Moderatoren, Reporter oder Kommentatoren in den USA eine Selbstverständlichkeit, was sich nicht zuletzt in der hohen Teilnehmerzahl der Konferenz niederschlug.

Doch ihre Präsenz in den Redaktionsstuben ändert noch lange nichts an der Perzeption von Minderheiten durch die weiße Mehrheit. Trotz der Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, trotz der Herausbildung einer schwarzen Mittelklasse und trotz der wachsenden Zahl von schwarzen Journalisten kommen Afroamerikaner in den Medien überwiegend in zwei Rollen vor: Männer als Gangmitglieder, Frauen als Sozialhilfeempfängerinnen mit unehelichen Kindern.

Auch die Klagen der hispanoamerikanischen und asiatischamerikanischen Kollegen zielten gegen die Wahrnehmungs- und Definitionsgewalt der weißen Mehrheit. Sie kämpfen – im diametralen Gegensatz zu den Schwarzen – gegen eine positive Stereotypisierung als „Modellminderheit“. „Das Medienbild über uns besagt, daß wir intelligent und fleißig sind und niemandem Ärger machen“, sagte William Wong, Kolumnist bei der Oakland Tribune in Kalifornien. „Aber wir haben in unserer heterogenen Gruppe mit Problemen zu kämpfen: Armut, Gangs, Gewalt. Über solche Sachen muß berichtet werden. Nicht nur über die Preisträger bei Forschungswettbewerben.“

Hispanische Journalisten beklagten, daß ihre community im vorherrschenden „Schwarzweiß- Raster“ häufig ignoriert wird, obwohl die „Hispanisierung“ des Südens der USA weiter fortschreitet. Sie beunruhigt vor allem eine unter Schwarzen wie Weißen verbreitete Stimmung gegen Immigranten.

Viele Journalisten äußerten nicht nur Verbitterung darüber, nun Teil eines Medienbetriebs zu sein, der Stereotypen reproduziert. Viele sehen sich sowohl von ihrer eigenen community als auch von weißen Kollegen in ihrer Unabhängigkeit in Frage gestellt. William Wong wurde von asiatischamerikanischen Lokalpolitikern attackiert, weil er in einem Wahlkampf „nettere Sachen über den weißen Kandidaten als über den asiatischamerikanischen geschrieben“ hatte. Sam Fulwood, Reporter der Los Angeles Times, muß sich von schwarzen Bekannten immer wieder vorhalten lassen, „unter dem Daumen weißer Chefredakteure zu stehen“. Ellis Cose, Mitarbeiter der Zeitschrift Newsweek, erinnert sich wiederum an weiße Kollegen, die ihn mit der Frage konfrontierten: „Bist du in erster Linie Schwarzer oder Journalist?“ Etwas Dümmeres, sagt Cose, habe er selten gehört. Da werde schlicht behauptet, „daß es eine einzige Gruppe, die Weißen, gibt, die ihren ethnischen Hintergrund außen vor lassen und total objektiv sein kann.“