Wem das Glöckchen schlägt...

■ Freiluftpremiere des „Hamburger Jedermanns“ von Michael Batz in der Speicherstadt

Der Fleetenkieker spaziert mit dem Enterhaken in der Hand über die Sandbrücke, summt gerade noch „Üb' immer Treu und Redlichkeit“, schon hat er den Teufel am Haken. Und der hat von dieser Stadt, die keinen Anstand hat, schon längst die Nase voll und wär am liebsten im Fleet geblieben. Doch ohne Düwel geht's auch beim Hamburger Jedermann nicht, der am Freitag in der Speicherstadt uraufgeführt wurde.

Als ein „anderes Spiel vom reichen Mann“ ist die Hamburger Ausgabe kein Mysterienspiel vernebelnder Erbauung. Der Tod verkündet dem Teufel gleich zu Beginn, daß sich der Der-da-oben als der Dritte im Bunde aus der Partie verabschiedet hat. Und am Ende wird kein allegorischer Glauben den reichen Herrn Jedermann retten. Der Teufel wartet vergeblich auf seine arme Seele. „Hier kommt sie hin, die Stadt, die mir gehört. Die Möwen können bleiben. Solang's nicht stört“ – auf „kräftig knittelnde Verse“ hat Autor Batz dennoch nicht verzichtet, um den smarten Manager, schließlich verlassen von Buhlschaft, Makler, Senator, Banker, Intendant und unausgelebten Wünschen, auf die letzte Reise zu schicken.

Das grell-laute Straßenschaustück, als das Regisseur Thomas Matschoß den Hamburger Jedermann mit einem guten Dutzend Darstellerinnen und Darstellern, die in knapp 60 Rollen erscheinen, inszeniert hat, findet im Hafen genau das richtige Ambiente. Für Autor Batz, der seit Jahren das Projekt Kampnagel als Dramaturg begleitet hat, ist diese auch aus historischen Gründen als Austragungsort einer solchen Produktion passend. Die Speicherstadt, um die die Investoren jetzt wieder feilschen, war Ende des 19. Jahrhunderts selbst ein Beispiel für rigorose Stadtbebauungspolitik, für die 24.000 Menschen ihr Wohngebiet verlassen mußten. Die Kräne, die den Aufbau der neuen Lagerhäuser erstmals mit Elektrizität beförderten, wurden in der Fabrik Nagel & Kaemp in Winterhude gebaut.

Wolken ziehen vorüber, mal ein Duft von Gewürzen, und immer ist das geschäftige Summen der Kühlhäuser zu hören bei diesem sozial-maritimen Bilderbogen, der süßliche Seemannsromantik ebenso karikiert wie journalistische, politische oder künstlerische Eitelkeiten. Gegenüber des Fleets erscheint in einer Luke einmal der Tod, dem der totenkopfblasse Wolfgang Hartmann in schwarzer Soutane schauerliche Autorität verleiht, und ruft den Jedermann, der doch gerade bei sektperlender Party den Grundstein für sein neues Objekt „Speicherstadt“ symbolisch beklopft hatte. Ans plötzlich schwache Herz greift sich der korrekte, Erfolg-versprühende, geschäftsmäßige Optimist und Machtmensch, als den Holger Mahlich den Jedermann spielt. Und wie aufgeschreckte Tauben fliehen die erfolgsverwöhnten Nutznießer den Absteiger.

Der findet keine Weggefährten mehr, Sex, Ökonomie und Kirche lassen ihn ebenso sitzen wie Wahrheit und Wirklichkeit, die sich als Watschenkasper ein würdeloses Gefecht liefern, und auch nicht in seinen verschütteten Wünschen, die nur noch nach dem oder jenem Produkt geifern. Den begrenzten Mitteln der Produktion angepaßt und eben um so einfallsreicher wirken dabei die Kostüme von Christiane Grimm.

Die beiden Ex-JAK-Schauspieler Erik Schäffler als Teufel und Reinhard Krökel als Banker, Ökonomie, Wahrheit u.v.a., hatten durch die Schließung ihres Theaters sicher noch genügend Wut im Bauch für das sarkastische Spiel, aber auch dem übrigen Ensemble, zumeist aus freien Gruppen, mangelte es daran kaum. Am Ende hallte der Applaus von den Klinkerwänden wider für ein besonderes Theaterereignis in diesem Musical-Sommer.

Julia Kossmann

19., 20. 8.: 19.30 Uhr; 21. 8.: 15 und 19.30 Uhr; 26., 27. 8.: 19.30 Uhr; 28. 8.: 15 und 19.30 Uhr, Auf dem Sande (U-Bahn Baumwall)