Ein wasserschlagendes Tanz-Paket im Glutofen

■ Resümee und Rückblick auf das 11. Internationale Sommertheater auf Kampnagel

Mit der großen Leuchtfeuer-Benefiz-Gala zu Gunsten eines Hospizes für an AIDS erkrankte Menschen und dem Abschlußfest ging am Sonnabend das 11. Internationale Sommertheater zu Ende. In Zahlen liest sich das so: 29 Compagnien aus 16 Ländern waren mit 28 Produktionen und 93 Veranstaltungen an 23 Tagen zu Gast und wurden von mehr als 20.000 Zuschauern beklatscht. Das sind knapp 25 Prozent weniger als im letzten Jahr, wofür die Veranstalter die glühende Hitze und die Ferienzeit verantwortlich machten. Über das so entstandene Defizit will man in Bälde mit der Kulturbehörde verhandeln.

Vielleicht gab es aber auch inhaltliche Gründe für den Zuschauerrückgang. Zum Beispiel, daß ein so dominant von Tanz- undTanztheaterproduktionen geprägtes Festival (12 1/2 von 16 Produktionen) eben nur einen Teil des potentiellen Sommertheaterpublikums bindet. Der Stoßseufzer einer Kollegin nach den abschließenden drei Tanz-Produktionen vom Marie Chouinard, Danza Abierta und Mudances: „Ich kann kein belangloses Tanztheater mehr sehen“ mag nicht repräsentativ sein, ist aber bezeichend für eine nicht nur bei Dauerkuckern verbreitete Reaktion auf das Programm und ein nicht eingelöstes Versprechen.

Denn vor dem Festival erklärten die Leiter Dieter Jaenicke und Gabriele Naumann einen neuen Trend zum Leitfaden des Tanzprogrammes: die Hinwendung der Choreografen-Riege zur „gesellschaftlichen Wirklichkeit“, weg von der reinen, schönen Form. Doch dies erfüllte sich nur ausnahmsweise. Entweder, weil es wie bei den drei genannten Produktionen und einigen anderen (Tai-Gu Tales aus Taiwan, En-Knap aus Slowenien und Mathilde Monnier) tatsächlich nicht das Thema war, oder, weil zwar die Hinwendung erkennbar war, aber die Umsetzung mißlang.

Ein weiterer Grund mag das von den Veranstaltern unter dem Stichwort „Öffnung“ provozierte Mißverständis sein, daß Ausblicke auf die Peripherie der Theaterwelt mit den hiesigen Qualitätsmaßstäben zu messen seien. Indem man Gruppen aus Taiwan, Lateinamerika oder Osteuropa gleichberechtigt neben Jan Fabre, Reza Abdoh und Mathilde Monnier anbietet, weckt man Erwartungen, die diese niemals erfüllen können. Dies wird insbesondere dort deutlich, wo Compagnien sich an europäisch-amerikanischen Qualitäten orientieren, aber scheinbar nicht im dauernden Austausch mit diesen stehen (besonders schmerzlich zu sehen bei der kubanischen Gruppe Danza Abierta). Zwar können Produktionen aus Ländern, die eine Tradition des Neuen erst entwickeln müssen, wenn sie eine wirklich eigen-artige Sprache finden, wie das Teatro Piollin aus Brasilien, auch großartige Überraschungen bieten. Aber auch den Compagnien zu Liebe, die hier oft erstmals im europäischen Rahmen präsentiert werden, sollte man eine Reihe eröffnen, in der diese Produktionen gesammelt gezeigt werden.

Insgesamt bot das Festival die Erkenntnis, daß in den USA scheinbar momentan das spannenste Theater gemacht wird, denn die beiden einzigen wirklich überragenden Produktionen (Reza Abdoh und Meg Stuart) kamen von dort. Europa zeigte dagegen viel gehobene Mittelklasse ohne sonderliche Innovation, aber immerhin vier bemerkenswerte Produktionen, die allerdings sehr geteilte Aufnahme fanden (aus Slowenien Betontanc und Cosmokinetic Cabinet Noordung, Mathilde Monnier aus Frankreich und den Schweden Michael Laub). Die restliche Welt schenkte den Hamburgern wenigstens das Teatro Piollin mit seiner atmosphärischen Kurzgeschichte Vau da Sarapalha.

Dank der Hitze und der Neuerung eines Festzeltes fand das Festival endlich auch sein öffentliches Zentrum. Trotz der unverschämten Essens-Preise (Billigste Speise: 14,50 Mark für ein paar lauwarme Nudeln mit Dosentomaten) und badewasserwarmem Bier in den heißen Tagen blieb das Publikum diesmal da und gab dem Festival seine kommunikative Aura, die in den letzten Jahren öfters gefehlt hatte.

Nach der Verleihung des Mobil-Oil-Pegasus-Preises für die beste Produktion des Festivals am Dienstag geht dann Kampnagel über in die Hände seiner neuen Führung, die am 23. September mit dem regulären Programm eröffnen wird.

Till Briegleb