Suchtvorbeugung: Vom Sitzbad zur Armutsbekämpfung

■ Provokative Thesen des Hamburger Drogenbeauftragten zu Beginn des Weltkongresses zur Drogenprävention

Sport und kalte Duschen – so lauteten früher schon die elterlichen Ratschläge zur Verhinderung kindlicher Irrwege. Heute ist man weiter: Jetzt erweitern kreative Dinge wie Marionetten-Theater das Angebot. Angebote, die laut Lothar Schmidt, dem Präsidenten des 9. Weltkongresses zur Suchtprävention, auch der Suchtabwehr dienlich sein können. Da dürfte die Eröffnungsrede des Hamburger Drogenbeauftragten Horst Bossong am gestrigen Abend die Initiatoren des Kongresses ein wenig düpiert haben.

530 WissenschaftlerInnen und Fachleute aus 46 Ländern wollen im Hamburger Congress-Centrum bis Donnerstag die gesamte Themenpalette der Suchtvorbeugung diskutieren. In 19 Arbeitsgruppen wird vom Kindergarten über Schule und Familie bis zum Arbeitsleben kaum ein Lebensabschnitt ausgelassen, an dem nicht suchtvorgebeugt werden kann und sollte.

Bossong stellte die Diskussion mit seiner Rede jedoch gleich zu Beginn auf den Kopf: „All zu viel wissen wir heute nicht über Sucht“, so seine Anfangsthese. Für ihn sei es bedenklich, daß immer mehr sozial unerwünschte Verhaltensweisen – beinahe schon beliebig – mit dem Etikett der Sucht belegt würden. Dabei sei Sucht keine klar diagnostizierbare Krankheit – dies zeige schon ein Blick auf die Therapie-Landschaft. „Dort versucht man mit einem eher zufälligen, mitunter sogar höchst zweifelhaften Konglomerat unterschiedlicher Methoden, die von stundenlangen Gruppensitzungen über Sitzbäder und Akupunktur bis hin zu Gartenarbeit, Bastelstunden und Hausputz reichen, Sucht auszutreiben.“

Wenn aber das Wissen über die Möglichkeiten der Heilung schon so unzureichend sei, wie solle dann Vorbeugung effektiv gestaltet werden, fragte er die Krongreßteilnehmer. Allgemeingut sei, daß die Vermittlung von Wissen über Wirkweise und Folgen von Drogen wenig nütze, aber auch nicht schade. Abschreckung als moralischer Feldzug für Totalabstinenz erreiche hingegen entweder nur Asketen oder führe zur Ächtung der Menschen, die Drogen gebrauchen.

Bossongs Versuch der Neuformulierung von Präventionszielen dürfte aber nicht ganz auf der Linie des eher Abstinenz-orientierten Veranstalters, der International Commission for Prevention of Alcoholism and Drug Dependency (ICPA), liegen. „Muß Suchtvorbeugung vielleicht eine ehrliche Verbraucheraufklärung über vernünftigen Substanzgebrauch sein?“ Oder sei Prävention die Sensibilisierung und Ermutigung zugunsten besserer Alternativen? Dann jedoch, so der Hamburger Drogenbeauftragte, müsse man in die Debatte auch alle suchtbegünstigenden, inklusive der sozialökonomischen Faktoren einbeziehen: die Bekämpfung von Armut, Bildungsdefiziten, Arbeitslosigkeit und schlechte Wohn- und Lebensverhältnisse.

Wenn schließlich das Kongreß-Thema „Suchtprävention in einer sich verändernden Welt“ laute, so Bossong, müsse heute neben der Gesundheit des Einzelnen verstärkt die Gesundheit der Gesellschaft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken: durch Substanzmißbrauch bedingte ökologische Katastrophen, wie der Unfall des Öltankers Exxon Valdes vor Alaska, machten eine neue Dimension des Themas deutlich. Sein provokatives Fazit: „Verkürzt gesagt, geht es heute mehr um den Schutz des Systems vor Substanzmißbrauchern als um den Schutz des Individuums vor dem Substanzmißbrauch.“

Sannah Koch