Manchmal ist das schon wie Detektivarbeit

In einem unscheinbaren Fabrikgebäude in Spandau verwaltet die Stiftung Deutsche Kinemathek den umfangreichen Nachlaß des Weltstars Marlene Dietrich / Im Frühjahr nächsten Jahres soll er der Öffentlichkeit präsentiert werden  ■ Von Anne-Kathrin Schulz

Lange Jahre hatte sie nur noch einen Koffer in Berlin. Marlene Dietrich, von den einen als Deutschlands einziger Star von Welt gefeiert, von den anderen als „Vaterlandsverräterin“ beschimpft, war bei dem letzten Besuch in ihrer Geburtsstadt im Jahre 1960 auf so viel unbewältigte Geschichte gestoßen, daß sie die Stadt zu Lebzeiten nicht mehr betreten hatte. Zurückkehren konnte die Diva erst nach dem 6.Mai 1992, trotz erneuter Proteste unbeirrbarer Kriegswitwen.

Einer Toten verweigert man den letzten Wunsch nicht.

Seit Oktober letzten Jahres sind auch die unsterblichen Überreste der Dietrich wieder in Berlin. Im ersten Stock eines unscheinbar grauen Fabrikgebäudes in der Spandauer Streitstraße lagern die Früchte einer 91jährigen Sammelleidenschaft. Drehbücher, Kostüme, Briefe und Fotos aus dem Leben der Schauspielerin Dietrich, zusammengetragen aus fünf Depots in Paris, London, New York, Los Angeles und Genf. Die Gesamtmasse, darunter über 300.000 Blatt Papier und 10.000 Fotos, scheint erdrückend und überrascht selbst Profis wie den Nachlaßverwalter Werner Sudendorf: „Es ist erstaunlich, daß ein Mensch das alles aufbewahrt hat.“

Gesammelt hat die „hübsche, mollige Blondine mit den bemerkenswerten Beinen“ (Stummfilmstar Louise Brooks) fast alles, was irgendwie mit ihr zu tun hatte, und sei es nur ein Zeitungsartikel, in dem ihr Name genannt wurde.

Den umfangreichen Nachlaß der Dietrich hatte Sudendorf im September 1993 selbst nach Berlin geholt. Als er ihn das erste Mal in einem Lager des Auktionshauses Sotheby's in New York zu Gesicht bekommen hatte, nahm die Marlene-Sammlung eine Fläche ein, die auf 120 Quadratmetern einen Meter hoch war. „Es war“, erinnert sich Sudendorf, „als wenn man in ein vorher noch nie geöffnetes Pharaonengrab kommt.“

Für den Nachlaß hat der Berliner Senat insgesamt fünf Millionen Mark gezahlt. Größtenteils stammt dieses Geld aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie. Rund 20 Prozent des Nachlasses haben Sudendorf und seine zwölf Mitarbeiter, die alle aus verschiedenen Ecken der Bundesrepublik kommen, schon fotografiert, katalogisiert und zeitlich zugeordnet. „Manchmal ist das schon wie Detektivarbeit“, sagt die 26jährige Studentin Christine Kisorsky, die im Rahmen eines Praktikums den Inhalt der Fotokisten sortiert. Mit einem starken Vergrößerungsglas, das „Fadenzähler“ genannt wird, untersucht sie auch die kleinsten Fotos nach Bekanntem, um Anhaltspunkte für die zeitliche und geographische Einordnung zu finden. Das weiße Brückengeländer, an dem Marlene mit Tochter Maria lehnt, findet sich schließlich auf einem bekannten Foto wieder – also muß das in Westerland auf Sylt sein, und zwar Anfang der dreißiger Jahre.

In einem quadratischen Raum, der mit seinen grauen Metallregalen und den farbgleichen Rollschränken wie ein Zwischending aus Autoersatzteillager und Landkartenarchiv wirkt, steht die Diva Dietrich jetzt in braunen Pappschachteln verpackt. Schnell wird klar, daß der lange Weg der Maria Magdalena von Losch zum Mythos Marlene vor allem im Detail zu sehen ist. Die Hälfte eines Fotos vom Ostseestrand aus der später von der Dietrich immer verleugneten Filmzeit vor dem „Blauen Engel“, Marlene inmitten des Filmteams mit papiernem Sonnenschirm und langem weißen Schal, das Foto durchgeschnitten – sie wollte im Mittelpunkt stehen.

Ein früher Vertrag mit Hollywood, wo die Paramount Pictures „die Künstlerin zum Darstellen, Spielen, Auftreten und zur Teilnahme an zwei Filmschauspielen“ engagieren.

Ein Pappschild, auf dem die Boys der US-Army mit einem „Mmmmmm!“ und „Woo!!! Woo!!“ der Dietrich für einen Auftritt in „Schwandorf, Germany“ danken.

Ein engbeschriebener Brief vom guten Freund Ernest Hemingway aus Kenia, Anfang der sechziger Jahre, in dem dieser in kleiner Krickelschrift auf blauem Luftpostpapier daughter Marlene an eine Zeit erinnert, als sie beide noch broke und an ihrem absoluten Tiefpunkt waren.

Und schließlich ein Zeitungsfoto von Catherine Deneuve, deren Qualität die alternde Dietrich in bissigen blauen Druckbuchstaben kommentierte: „What ugly legs“.

Der Privatmensch Marlene Dietrich findet sich im Nachlaß allerdings kaum. „Ihr Leben war auch hinter der Kamera stets inszeniert“, erklärt Sudendorf, der schon zwei Bücher über die Dietrich geschrieben hat. Beweis dafür sind unter anderem die unzähligen Kinderfotos von Dietrich-Tochter Maria, auf denen diese schon im Vorschulalter völlig unkindlich posiert: der Körper leicht gebogen, die Hände in den Hüften – ganz die Mama, der Filmstar.

In der großen Ausstellung der „Marlene-Dietrich-Collection“, die im Frühjahr nächsten Jahres eröffnet werden soll, wird der Schwerpunkt deshalb auf der kulturpolitischen Rolle der Dietrich liegen, einer Frau, die nach 1933 als Schauspielerin im Ausland auf einmal ungewollt Deutschland repräsentierte, obwohl sie, so Sudendorff, „noch 1918/19 eine absolut apolitische bürgerliche Person war, die den Spartakus-Aufstand langweilig fand, weil er ihren Lebensablauf behinderte“. Für Sudenhoff ist Marlene Dietrich deshalb eine „faszinierende Person“, deren Lebensweg „die Geschichte verdeutlichen kann“.

Alle Gegenstände aus dem Nachlaß wird die Stiftung Deutsche Kinemathek jedoch nicht zeigen. „Marlene hat besonders in den letzten Jahren sehr ziellos gesammelt“, so Sudendorf, „vieles ist einfach uninteressant.“ Ein anderes Problem ist das Geld. „Eine halbe bis dreiviertel Million Mark“ zahlt das Land Berlin jährlich für die Nachlaßverwaltung, doch schon die Restaurierung eines Kleides kann bis zu 10.000 Mark kosten. Deshalb will Sudendorf künftig den Bund an den Kosten beteiligen.

In der Zukunft soll die gesamte Marlene-Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich sein. „Jeder kann kommen und forschen“, verspricht Sudendorf, der schon jetzt recht häufig Anfragen auf Privatführungen bekommt. Die Gefahr, mit einer zu ausführlichen Beschäftigung mit den einstigen Marlene-Besitztümern die Legende vom Mythos Marlene zu zerstören, sieht er aufgrund von eigener Erfahrung nicht: „Man kann noch so hartnäckig versuchen, sich ein genaues Bild zu machen, man wird es nie zusammenkriegen. Es wird immer ein geheimnisvoller Rest bleiben.“