: Gemeinsam über die Hürden
■ Der Teamgeist manifestierte sich bei der Leichtathletik-EM nicht nur beim Feiern von Florian Schwarthoffs Silber, zusammen liefen auch die Staffelläuferinnen (Gold)
Berlin (taz) – „Wir mögen uns halt“, sagt Mike Fenner. „Genau“, entgegnet Claude Edorh. So einfach ist das also mit dem Erfolgsgeheimnis im Hürdensprint, der dann der Einfachheit halber kurzerhand auch zum deutschen Vorzeigeprojekt mit „Modell“-charakter (DLV-Präsident Helmut Digel), Erfinder Frank Hensel – jetzt DLV-Leistungssportchef, seit 1986 Hürden-Bundestrainer – erhoben wurde.
Gemeinsam nehmen sie jedes Hindernis. Sogar eine durchzechte Nacht nach kollektivem Erfolg, der sich liest wie folgt: Florian Schwarthoff Vize-Europameister, Fenner Vierter, Edorh Fünfter. Und weil ihre Gemeinschaft keine Grenzen kennt, schlossen sie die Briten, Europameister Colin Jackson sowie den Drittplazierten Tony Jarrett – zur bierseligen Feierstunde gleich mit ein. Zuerst hoch das Bein (zehnmal über 1,06m), dann hoch die Tassen (Anzahl sowie Stemmhöhe: unbekannt).
Natürlich, nichts kommt von ungefähr. „Man muß schon etwas längere Beine haben“, sagt Claude Edorh, der Kölner, der vor elf Jahren von der Elfenbeinküste nach Deutschland kam. Über zu kurze Beine kann Florian Schwarthoff, der 2,01-m-Mann, fürwahr nicht klagen. Höchstens über die Kehrseite der Medaille: „Ich komme zwar problemlos über die Hürden, dafür kann ich dazwischen nicht volle Pulle sprinten, weil ich sonst zu dicht auf die nächste Hürde drauflaufe.“ Also, Handbremse anziehen. Trotzdem: Schwarthoff lief deutsche Jahresbestzeit (13,16), Weltrekordler Jackson Jahresweltbestzeit (13,08), und der zum Österreicher konvertierte kanadische Olympiasieger Marc McKoy gar nicht wegen Verletzung. Seine Rechnung hat Architekturstudent Schwarthoff in weiser Vorsicht ohne Jackson gemacht. „Der ist athletisch und technisch perfekt.“ Aber: „Ich wußte, daß ich Jarrett in Schach halten kann, wenn ich perfekt laufe.“ Gesagt, getan.
Fazit: „Das war der bisher beste Lauf meines Lebens.“ Und die erste Medaille für den 26jährigen bei einem internationalen Wettbewerb. Sein bestes Ergebnis bis dato: Platz fünf bei den Olympischen Spielen 1992 sowie bei der WM in Stuttgart. Merke, das erste Silber wiegt schwer: „Egal was jetzt noch kommt, das nimmt mir keiner mehr.“
Das mag sich auch Alain Blondel, der Franzose, gedacht haben. Der Fünftplazierte der EM 1990 und 15. der Olympischen Spiele von Barcelona, benötigte allerdingst statt schlapper 13 Sekunden ganze zwei Tage in Helsinki und bis dahin 35 Zehnkämpfe für sein erstes großes feuchtfröhliches Erfolgserlebnis-Feiern. Erst in der letzten Disziplin, dem 1.500-m- Lauf, kürte sich der 31jährige selbsttätig mit der Krone der Leichtathleten. „Schön“, lobte ein verletzter Paul Meier auf der Tribüne. Als ungleich weniger schön hatte der WM-Dritte außer dem finnischen Publikum („echt lasch“) das Verhalten des bis zur neunten Disziplin Führenden gefunden. Hat der Schwede Henrik Dagard doch glatt in die Hände geklatscht, als der „mit Abstand Beste“ (Meier), der Weißrusse Edouard Hämälainen, den Sinn des Hürdenlaufs mißverstand und statt über selbige zu spazieren in einem der sperrigen Hindernisse hängenblieb. Pfui, das macht man nicht. Zuletzt lachte Blondel, dem sein erster Titelgewinn endlich ein Alibi liefert, seinen gut 700 Flaschen vollen Weinkeller nach und nach zu leeren.
Im Rausch befanden sich die deutschen Staffelläuferinnen auch ohne Vin de table. „Ja wo bleibt sie denn?“ schoß es Silke Lichtenhagen (20) auf der Zielgeraden durch den Kopf. „Die ist doch viel schneller als ich!“ Ist sie, die Doppel-Europameisterin über 100 und 200 m, Irina Priwalowa. Aber nur alleine. Gemeinsam sind sie stark: Melanie Paschke, Bettina Zipp, Silke Knoll und Silke Lichtenhagen. Die liefen zusammen. „Es war keine vor mir, aber glauben kann ich's nicht“, zweifelte die Schlußläuferin, auch ohne einen burgundischen Spitzenwein genossen zu haben, schwer an ihrem Verstand. Völlig unnötig. coh
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