: Galopp mit bleichem Reiter
Der Exil-Iraner Reza Abdoh und Dar A Luz mit der Deutschen Erstaufführung von „Quotations From A Ruined City“ beim Internationalen Sommertheater auf Kampnagel in Hamburg ■ Von Till Briegleb
Ein nackter Mann mit einem toten Baum betritt die weiße Bühne des Konzentrationslagers. Plötzlich verschwinden die Geräuschattacken, die Compagnie, die lustiges Aerobic mit bestialischem Grinsen tanzte, verzieht sich von der Bühne. Kein blutiges Ohr-Abreißen, keine Zahnarzt-Folter und keine zynischen Puritaner mit Hut und Halskrause erheitern mehr das Publikum.
Es tritt plötzlich ein Moment des „wirklichen“ Lebens ein in ein Stück, das sonst nichts Authentisches akzeptiert. Daß dieser Moment vom Sterben handelt, könnte so klug kalkuliert plakativ sein wie die ganze neue Arbeit von Reza Abdoh „Quotations From A Ruined City“, die beim Internationalen Sommertheater in Hamburg deutsche Erstaufführung hatte.
Aber schnell wird klar, daß das hier ernst gemeint ist. Marios Monolog über den Abschied des Kranken von seinem Freund und sein letztes Aufdonnern in Fummel und Schminke für den Galopp mit dem bleichen Reiter – die einzige Stelle, bei der Reza Abdoh auf lippensynchrones Playback verzichtet – wirkt vordergründig, als handele es sich um eine Szene aus Tony Kushners Aids-Boulevard- Stück „Angels in America“.
Aber dies ist weniger ein weiteres „Zitat aus einer zerstörten Stadt“ als ein persönliches Implantat des Regisseurs: eine pathetische Bitte für die Zeugenschaft an seinem Sterben, stellvertretend für alle an Aids erkrankten Menschen der Welt.
Nicht minder pathetisch umarmen sich, nach eineinhalb Stunden stakkatohafter Polemik über das tabuisierte alltägliche Grauen, zwei Männer in OP-Kitteln kniend und innig zum Verlöschen des Lichtes. Memento mori, wir wissen, daß Schluß ist.
Hier bricht zum zweiten Mal bitterer Ernst durch. Zwar fällt das Wort Aids in der medienkritischen Multimedia-Attacke nicht ein einziges Mal, aber während die schwer verständlichen Texte teils zynisch, teils poetisch über Folter, Zerstörung, Vergewaltigung, Isolation und Krieg reden, sprechen die offensichtlichen Bilder stets auch von der zerstörten Stadt als Metapher des Körpers.
Menschen in Ganzkörper-Bandagen, Flecken auf der nackten Haut, medizinisches Gerät, blutige Wäsche und wächserne Haut, die Aids-Angst als „Hausfreund“ schwuler (und nicht nur schwuler) Liebe ist als Thema stets präsent.
Doch Reza Abdohs Arbeiten sind keine thematischen Monokulturen, die sich auf Schlüsselszenen zubewegen. Sein Prinzip ist die Schichtung der annoncierten Inhalte – hier Beirut und Sarajevo als Orte enthemmter Vernichtung, oder, bei seinem letzten Deutschlandgastspiel „The Law of Remains“, der kannibalistische Massenmörder Jeffrey Dahmer – dienen stets nur dazu, einen metaphorischen Rahmen zu schaffen, um sich darin mit verdrängten gesellschaftlichen Komplexen auseinanderzusetzen.
Stets geht es um das Spannungsverhältnis zwischen legitimierter und tabuisierter Gewalt, und um die Medien als Wächter und Transporteure dieser Moral, um verdrängte Begierden und deren transformierte Ausbrüche. Dazu dekonstruiert der in New York lebende Abdoh Fernsehbilder, um so auf ihren verborgenen, aggressiven Subtext zu stoßen, den er dann bildlich ausweidet.
Standardisierte Comic-Typen (der Dumme, der immer aufs Maul bekommt und der Kluge, der ihn quält und sich darüber totlacht), Fitneß-Sendungen (jene oben genannte, infernalische Aerobic- Show), Soap-operas und kreischende Showmaster werden ebenso brutal-komisch entstellt wie CNN-Reporter, für die in ihrer „objektiven“ Berichterstattung Tod und Jubel eins sind.
Seine grellen Verhöhnungen gesellschaftlicher Images (Körperkult, Heldenkult, Infotainment, Höflichkeit etc.) verbindet Abdoh immer wieder mit Inszenierungen archaischer Mystik. So folgt auf die Szene, in der die zwei OP-Kittel- Träger mit Begeisterung in den elektrischen Zaun rennen, der die Bühne vom Publikum trennt, ein tiefes Glockenläuten und im kurz aufleuchtenden grünen Licht erkennt man einen schemenhaften Tanz.
So insistiert Abdoh auf einem zentralen Credo seiner Arbeit, das auch als Slogan in „Quotations“ auftaucht: „We are bound to the past.“ Diese Vergangenheit ist auch die mythische, die verloschene Vergangenheit. Die Haltung hinter Reza Abdohs ekstatisch komponiertem und höchst unterhaltendem Anti-Entertainment ist eine Art enthusiastischer Resignation.
Denn die sinnliche Aufklärung, die der Exil-Iraner Abdoh mit seinen spektakulären Aufführungen betreibt, beinhaltet zwar ein kritisches Programm, aber kein politisches Sekretariat. Doch so fatalistisch seine Analyse auf der Meta- Ebene ausfällt (es wird sich nichts ändern!), so geil und gierig formuliert sich die individuelle Perspektive (Wir lassen uns das Singen nicht verbieten!). Und wenn er diesmal mit einer sehr sentimentalen Geste schließt und damit den Bürgersteig küßt, auf den er sonst spuckt, dann erscheint dieser absichtliche Bruch wie ein persönlicher Abschied an die dankbaren Zeugen seiner Kunst: A quotation from a ruined body.
Weitere Termine: Theaterspektakel, Zürich: 27. bis 29. August; Hebbel Theater, Berlin: 7. bis 10. Oktober; Theater am Turm, Frankfurt: 13. bis 16. Oktober
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