Schwere Rückschläge für Impfstoff-Forscher

■ Erste Experimente mit HIV-Impfstoff fehlgeschlagen / Aids-Forscher sind ratlos

Die Euphorie der Aids-Forscher ist verschwunden. Auf den ersten Aids-Konferenzen verkündeten sie noch hoffnungsvoll, daß es ihnen gelingen werde, in absehbarer Zeit einen Impfstoff gegen Aids-Viren zu finden. Aus Yokohama, von der 10. Welt-Aids-Konferenz, waren dagegen fast nur pessimistische Stimmen zu hören. Obwohl derzeit nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 15 Impfstoffe gegen das HI-Virus erprobt werden – nur zwei davon in einem fortgeschritteneren Teststadium –, ist ein Durchbruch nicht erkennbar. Das Gegenteil ist sogar der Fall: mußten die Forscher in den letzten Monaten doch schwere Rückschläge einstecken, die Zweifel an der bisher verfolgten Impfstoff-Strategie aufkommen ließen.

Vor wenigen Wochen erst entschied das vom US-Kongreß eingesetzte Aids-Beratergremium, vorerst keine großangelegten klinischen Studien durchzuführen. Der Grund: Zwei erfolgsversprechende Impfstoff-Kandidaten erwiesen sich als unzuverlässig. Bei beiden Entwicklungen handelt es sich um Impfstoffe, die aus einem HIV-Hüllprotein, dem gp120 bestehen. Die antigene Wirkung des gentechnisch hergestellten gp120 soll das Immunsystem aktivieren, so daß es Antikörper zur Abwehr der Viren produziert. Entwickelt wurden die Impfstoffe von zwei kalifornischen Unternehmen, Genentech und Biocine. Im Tierversuch konnten sie die Wirksamkeit noch nachweisen. Doch als es darum ging, die Verträglichkeit und Sicherheit der Impfstoffe am Menschen zu überprüfen, kam die Ernüchterung: bei 11 von insgesamt rund 500 geimpften Probanden versagten die Impfstoffe. Sie infizierten sich mit dem Aids-Virus.

Damit waren die Erfolgsaussichten für diese Impfstoffe zu gering, um den riesigen Aufwand für den abschließenden Test durchzuführen: rund 9.000 Personen müßten daran teilnehmen, die Kosten dafür werden auf 30 bis 60 Millionen US-Dollar veranschlagt. Für den bekannten Aids-Forscher Dani Bolognesi vom Duke University Medical Center in Durham im US-Bundesstaat North Carolina hat die Entscheidung des Gremiums „weitreiche Konsequenzen“. Möglicherweise, so erklärte er auf der Aids-Konferenz in Yokohama, würden damit weitere Versuche um „ein bis drei Jahre verzögert“.

Mittlerweile wird unter den Wissenschaftlern auch die Frage gestellt, ob eine Impfung überhaupt zum Erfolg führen kann. Bei einer HIV-Infektion wird das Immunsystem zwar aktiviert, und es werden Antikörper gegen das Virus gebildet, diese können jedoch anscheinend die Vermehrung des Virus nicht verhindern. Und nichts anderes machen die bisher entwickelten Impfstoffe. Es wird von Aids-Forschern mittlerweile nicht ausgeschlossen, daß die Aktivirung des Immunsystems den Krankheitsausbruch beschleunigen kann. Bevor neue Experimente mit Impfstoffen durchgeführt werden, so Bolognesi, sollten hierüber mehr Erkenntnisse gesammelt werden.

Nachdem die Forschungsanstrengungen der letzten Jahre keinen Erfolg gebracht haben, setzen einige Wissenschaftler auf eine neue Strategie. Sie favorisieren zunehmend die Gentherapie. Erste gentherapeutische Experimente zur Behandlung von Aids-Patienten sind in den USA bereits begonnen worden. Die US-Forscherin Flossie Wong-Staal erklärte in Yokohama, erfolgversprechend sei die Behandlung mit einer Gentherapie vor allem bei Neugeborenen, die von der Mutter infiziert wurden. Dieses Verfahren sei zwar noch nicht zugelassen. Es darf derzeit nicht für die Behandlung eingesetzt werden, aber sie hoffe, daß sie innerhalb eines Jahres mit ersten Tests beginnen könne.

Sie will die Zellen der Neugeborenen mit einem Abwehrmechanismus ausstatten, so daß diese das Wachstum und die Verbreitung der Viren selbst verhindern können. Noch ist aber nicht gesichert, ob diese Behandlung auch wirklich so funktioniert. Ihre Forscher-Kollegen befürchten, daß auch diese Methode ein Reinfall wird. Wolfgang Löhr