: „Der hat doch niemandem geschadet“
In Königstein stolperte Bürgermeister Maiwald über seine Stasi-Vergangenheit / Nun kämpfen die Dörfler für den IM „Fritz Steuer“ / Im nahen Rabenau hat Dorfchef Schönherr, auch IM gewesen, aber keine Lobby ■ Von Michaela Schießl
Den Königsteinern in der Sächsischen Schweiz ist es wurst, ob ihr Bürgermeister bei der Stasi war oder nicht. Vollkommen wurst. Und wenn noch lange darüber gemeckert wird, könnten sie es sogar sympathisch finden. Schon um das neue System zu ärgern. Diese gottverdammte Mogelpackung, die ganz und gar nicht hält, was 1990 versprochen wurde, diese unsägliche Mischung aus Geld und Anmaßung, die über Nacht die Vergangenheit geraubt und die Ratenzahlung gebracht hat.
Und nun will ihnen der Wessi- Chef in Dresden auch noch vorschreiben, wem sie vertrauen dürfen und wem nicht. „Das geht zu weit“, sagt der Bäcker. „Wir wissen selbst, was gut für uns ist“, schimpft die Zeitungsverkäuferin. „Unsere Vergangenheit kennen wir besser als ein Biedenkopf. Die Mißachtung des Votums ist eine Diskriminierung der Wählerschaft.“ Und SPD-Mann Ivo Teichmann fordert für alle: „Der Bürgerwille muß respektiert werden.“
Dieser Wille, vier Jahrzehnte lang unterdrückt, ist laut, stark und eindeutig. 65 Prozent wählten am 26. Juli Rudolf Maiwald im zweiten Wahlgang erneut zum Bürgermeister – wohl wissend, daß er Informant der Stasi war.
Doch das ist Vergangenheit, Schnee von gestern, und außerdem hat er bereits büßen müssen. Im März 1994 wurde Maiwald von den Stadtverordneten abgewählt, nachdem seine Stasi-Akte gesichtet worden war. „Er hat unser Vertrauen mißbraucht“, urteilte damals die CDU-Fraktion über ihr Mitglied. Wie jeder andere im öffentlichen Dienst hatte der 55jährige unterschrieben, nicht für den Geheimdienst gearbeitet zu haben.
Wenige Monate nach seinem Outing kandidierte Maiwald auf Drängen vieler Bürger als Parteiloser – und gewann.
Doch seine Amtszeit währte nur sieben Stunden. Kaum hatte er am 1. August seinen Locher auf dem Rathausschreibtisch auf halb acht ausgerichtet, traf ihn der Bannstrahl von CDU-Landrat Michael Geisler. Er sei bis auf weitere Prüfung seiner Stasi-Akte beurlaubt. Bei Mißachtung drohen ihm 5.000 Mark Geldbuße, teilte ihm das Landratsamt Pirna mit. Laut sächsischem Kommunalwahlgesetz darf niemand verbeamtet werden, der eine Täter-Akte hat.
Maiwald packte den Locher wieder ein. „Unglaublich ist das, eine Ungeheuerlichkeit.“ Rentnerin Erika Maier, die den Abgang erlebte, ist außer sich. Sie wohnt unterm Rathausdach, Tür an Tür mit dem Bürgermeister. „Der tut was für die Stadt, der ist ein guter Mensch. Das merkt man schon daran, daß er immer grüßt, immer Zeit hat für die alten Menschen.“
„Der kümmert sich um den Mittelstand“, weiß FDP-Stadträtin Ingrid Hetsch, Besitzerin eines Fotogeschäfts, und zieht einige Aufnahmen aus der Schublade. „Sehen Sie, auf dem Foto, da hinten links, das ist er. Ist das nicht ein guter Mensch?“
„Der hilft der Jugend“, sagt Tobias Thiele. „Der hat unseren Club gerettet.“ Zum Dank veranstaltet der 19jährige zusammen mit der Maiwald-Unterstützungs-Initiative „Königstein 94“ eine Montagsdemo mit integrierter Lichterkette. 600 Menschen versammelten sich kerzenbewehrt vor dem Rathaus und forderten die sofortige Wiedereinsetzung ihres „in freier und demokratischer Wahl“ bestimmten Bürgermeisters und eine „objektive und am Wählerwillen orientierte Entscheidung“.
Objektiv, das heißt für die Königsteiner: der Mann hat gute Arbeit gemacht, hat Leistung gezeigt. Und nett ist er auch. Vor allem aber: der Mann hat niemandem geschadet. Das weiß man genau, auch ohne Akteneinsicht.
Der Ingenieur Maiwald war als IM „Fritz Steuer“ registriert. Elf Jahre lang, von 1972 bis 1983, lieferte er als Leiter der Forschungsabteilung des Landmaschinenkombinats „Fortschritt“ Berichte über Personen, über Auslandsreisen, über Stimmungen. Über 300 Seiten dick ist seine Akte.
„Das war damals ganz normal“, sagt Maiwald. So normal wie das Leben heute auch. Er sitzt gemütlich in der Eßecke, vor dem Regal mit den Vasen und Tellerchen, im Bücherbord stehen die „1000 ganz legalen Steuertricks“. „Ich habe nie eine Verpflichtungserklärung unterschrieben“, beteuert der Blauäugige. Nur eine Verschwiegenheitserklärung. „Ich wußte nicht, daß ich als IM geführt wurde.“ Warum aber hat er Berichte mit seinem Decknamen unterschrieben? Da schaut er gequält. „Weiß ich nicht.“ Und dann die Zauberworte: „Ich habe keinem geschadet. Im Gegenteil, ich habe nur Gutes gesagt, damit die Mitarbeiter ins Ausland durften.“
„Sie sind aus dem Westen, Sie können das nicht verstehen. Aber wer in der DDR was werden wollte, hatte die Stasi als notwendiges Übel am Bein.“ Der Ausstieg allerdings war traumhaft einfach. „Ich hab' gesagt, ich will nicht mehr, basta. Das können Sie in den Akten nachlesen.“ Ja, ja, die Akte: „Wegen mir könnte sie jeder einsehen, aber, leider, mein Anwalt hat mir abgeraten, sie zu zeigen.“
Josef Zimmermann, ehemaliger CDU-Stadtratschef, hat als Vorsitzender des Bewertungsausschusses die Akte eingesehen. Und daraufhin vehement auf Maiwalds Abwahl gedrängt. Für ihn ist die Solidaritätsdemonstration „eine Katastrophe: 1990 sind wir gegen die Stasi auf die Straße gegangen, heute gehn die für die Stasi protestieren.“
Da jaulen die Königsteiner auf. „Wir sind nicht für die Stasi. Hier gibt's nicht einmal eine PDS. Aber das war halt damals so, das war unsere Zeit“, sagt Fotografin Hetsch schulterzuckend.
Die Haltung des Josef Zimmermann kann keiner in Königsberg verstehen. Immerhin hat der unter Maiwalds Amtszeit ungehindert die halbe Stadt aufkaufen können, weil er oft als erster wußte, wo ein Grundstück zum Verkauf stand. Wahrscheinlich ist er nur sauer auf die Königsteiner, weil sie ihn nicht wiedergewählt haben. „Oder wegen der dummen Sache mit seinem Sohn“, mutmaßt Tobias vom Jugendclub. „Der Armin hat bei ,Fortschritt‘ gearbeitet und sich geweigert, für die Stasi zu spitzeln. Daraufhin durfte er nicht ins Ausland und konnte nicht aufsteigen. Er stellte einen Ausreiseantrag. Ich glaub', der saß sogar in Bautzen ein, bis er nach jahrelangen Gängelungen endlich in den Westen durfte.“ Sicherlich, dumm gelaufen, aber doch kein Grund, gegen Maiwald zu sein, findet Tobias. „Der Maiwald ist ein Guter. Als Abteilungsleiter konnte er eben nicht anders. Man darf nicht alle über einen Kamm scheren.“
Bei solchen Sätzen reißt dem Mitarbeiter im Rathaus ganz heimlich der Geduldsfaden. „Ich habe gern mit Maiwald gearbeitet. Aber wer bei der Stasi war, darf nie wieder ein öffentliches Amt haben. Das sind wir uns doch schuldig.“ Erschütternd findet er das Argument, daß eben alle Leistungsträger Stasi-Kontakte hatten. „Es stimmt einfach nicht, daß es nicht ohne ging. Es ging nur schwerer.“ Doch laut will er das nicht sagen.
Vierzig Kilometer weiter westlich würde der Mann mehr Gleichgesinnte finden. In der 2.200-Einwohner-Stadt Rabenau ist der Bürgermeister ebenfalls beurlaubt worden, wegen Stasi-Kontakten. „Das war ein Komplott“, glaubt Frank Schönherr. Er ist sich keiner Schuld bewußt. „Von mir gibt es nicht einmal eine Akte.“ Er und seine Frau wurden lediglich dreimal von der Stasi angesprochen, 1983, 1985, und 1987. In allen drei Gesprächen ging es um einen Verwandten im Westen. „Die Stasi wollte den als Informanten werben.“ Das sogenannte „Kontaktehepaar“ leugnet nicht, großzügig Auskunft gegeben zu haben. „Jeder im Ort weiß, daß ich aus einer SED-Familie komme, daß Verwandte bei der Stasi arbeiteten, daß ich an die Sache geglaubt habe“, sagt Frau Schönherr. „Und nun wird alles verteufelt.“ Die Erzieherin flog aufgrund der Vorwürfe bereits im Frühjahr aus dem öffentlichen Dienst.
Ihr Mann versprach damals seinen Parteifreunden von der Freien Wählervereinigung, nichts mit der Stasi zu tun gehabt zu haben. „Das stimmt ja auch“, findet er noch heute. „Ich habe nie etwas unterschrieben, es gibt nichts außer diesen drei Gesprächen.“ Ein klarer Fall von Rufmord sei das, was mit ihm geschehe, mit den Stasi-Akten werde Schindluder betrieben.
Nun hockt er in seinem unbezahlten Neubau, ist arbeitslos, ebenso wie seine Frau. „Uns wird die Lebensgrundlage entzogen, aufgrund von vagen Verdachtsmomenten. Ist das Rechtens? Ist es nicht im Zweifel für den Angeklagten?“ Schönherr wird, wie seine Frau, klagen. Und hofft, recht zu bekommen und wieder erhobenen Hauptes durch Rabenau gehen zu können. Denn anders als sein Kollege in Königstein wird Schönherr geächtet. Keiner hält offen zum Dorfchef. „Wir sind enttäuscht, weil er uns vorher nichts gesagt hat“, sagt eine Frau. Doch im Blumengeschäft wußte man es schon lange: „Die Schönherrs sind rote Socken, dunkelrote, hundertprozentige.“
Doch warum wurde Schönherr dann wiedergewählt? „Weil es keinen anderen gab und weil die Leute vergeßlich sind. Das einzige, was er in den letzten vier Jahren gemacht hat, war, sich für zwei Millionen Mark das Rathaus prunkvoll erneuern zu lassen.“
Kein Zweifel, Schönherr ist trotz seiner Wahl unbeliebt in der Stadt. Selbstherrlich sei sein Amtsstil, er sei arrogant und rede nicht mit den Bürgern. Da freut sich manch einer mit geballtem Fäustchen über den Stasi-Dämpfer.
Dem Stadtverordnetenvorsteher Hans Derr jedoch, ein Parteikollege und rechte Hand von Schönherr, geht es nicht um persönliche Querelen. „Als ich die Akte gelesen habe, war mir klar, daß der Mann nicht gehalten werden kann. Wer ein öffentliches Amt will, der muß eine tadellos reine Weste haben. Wer heute behauptet, es sei nicht ohne Stasi gegangen, der lügt.“
Für einen wie Derr, der sich weigerte, seine Kinder zur Jugendweihe und zum Militär zu schicken, der nicht in die Partei eintrat und der immer als letzter mit Waren beliefert wurde, ist es unerträglich, wie sich die Täter heute als Opfer gebärden. Einen Zusammenhalt wie in Königstein ist für ihn Komplizenschaft. „Es gibt zu wenige mit weißer Weste. Die meisten waren doch Feiglinge, Emporkömmlinge und Karrieristen. Ich schwöre Ihnen, es ging auch ohne Stasi. Aber eben schwerer.“ Sollte Schönherr mit seinem Widerspruch durchkommen, wird Derr ein Bürgerbegehren einleiten. „Der haßt mich“, klagt Schönherr und kann's sich nicht erklären. „Vielleicht, weil er bei meinem Neubau den Elektroauftrag nicht bekam.“
Da schüttelt Heidemarie Derr nur noch den Kopf. „So sind sie eben, die den Rücken noch nie geradegemacht haben. Nur, dann sollen sie heute auch gebeugt bleiben. Die einzige Haltung, die ihnen ansteht.“
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