■ Nebensachen aus Istanbul
: Was will Mann mehr oder: Tanjus Abstieg

„Jeder wahre Mann besitzt ein Pferd, eine Waffe und eine Frau“, heißt es im Volksmund. Tanju Colak war ein richtiger, türkischer Mann. Vor Jahren erblaßte das Volk vor Neid über Tanjus Selbstdarstellung in einer Talkshow: „Ich habe alles, was ein Mann braucht. Ich habe eine goldene Schußwaffe, ich habe die schönste Frau, und in Kürze werde ich auch eine Tankstelle besitzen.“

Tanju war populärer als jeder türkische Politiker. Diese rissen sich denn auch darum, mit ihm fotografiert zu werden. Der Fußballspieler Tanju, der mit 39 Toren europäischer Torschützenkönig war und jahrelang zu den bestbezahlten Kickern gehörte, war ein Megastar. Die Nation identifizierte sich mit Tanju. Er war der Liebling der Massen.

Armer Tanju. Heute sitzt er im makedonischen Skopje in Auslieferungshaft. Die türkischen Zeitungen veröffentlichten Bilder, wie er in Handschellen abgeführt wird. Über Interpol hatten die türkischen Behörden die Fahndung ausgeschrieben. In wenigen Tagen werden ihn türkische Beamte in Empfang nehmen und schnurstracks in ein türkisches Gefängnis abführen, in welchem Tanju eine zweijährige Gefängnisstrafe absitzen muß.

Tanju wurde wegen Automobilschmuggel rechtskräftig verurteilt. Er war Mitglied einer Bande, die illegal Autos in die Türkei schmuggelte und verkaufte. Auch Tanjus Mercedes war auf illegalen Wegen ins Land gekommen. Der unaufhaltsame Aufstieg von Tanju Colak, der sich gern mit Gerd Müller vergleicht, endete im Knast.

Ende der achtziger Jahre entdeckte die Istanbuler Top-Mannschaft Galatasaray den Fußballer aus dem Schwarzmeerort Samsun. Er machte als „Wunder“ von sich reden. In Kürze war die ganze Mannschaft um ihn herum aufgebaut. Tanju trug mit seinen Toren Galatasaray in das europäische Halbfinale beim Pokal der Ligameister. Doch es gab auch Probleme mit Tanju. Er war kein fleißiger Fußballer. Nie ist er dem Ball hinterhergerannt. Er war eben ein Naturgenie. Im richtigen Augenblick waren Kopf und Füße zur Stelle und schossen ein Tor. Mit einer Riesensumme kaufte ihn 1991 die Istanbuler Mannschaft Fenerbahce, der ärgste Konkurrent von Galatasaray. Die Tanju-Legende war in aller Munde.

Tanju hat den heimlichen Wünschen der Massen Ausdruck verliehen. Demonstrativ schoß er mit der goldenen Schußwaffe – eine teure Sonderanfertigung – in die Luft. In den feinen Istanbuler Nachtclubs fühlte sich der „saubere Schwarzmeerjunge“ (Tanju über Tanju) wohl. Er verkehrte mit den wichtigen Mafia-Bossen, über die er auch Zugang zum Schmuggelgeschäft erhielt. Er „nahm“ sich die Filmschauspielerin Hülya Avsar zur Geliebten und prahlte damit in den Medien. „Hülya, Hülya“, schrieen die Fans von den Tribünen, um Tanju anzuspornen.

Was will der Mann mehr? Zehntausende rufen den Namen der Geliebten, und Tanju schießt ein Tor. Das Glück auf Erden. Daß seine Ehefrau gerade schwanger war und ihr zweites Kind erwartete, störte ihn dabei nicht. Als der Automobilschmuggel bekannt und ein Prozeß gegen ihn angestrengt wurde, hatte er die Antwort parat: „Das ist ein Komplott gegen mich, weil ich die Frau besitze, der alle hinterherrennen.“

Einen Tag bevor die Verurteilung von Tanju rechtskräftig wurde, verließ er die Türkei. Danach wäre er bereits am Flughafen festgenommen worden. All seine Bitten und Petitionen an den Staatspräsidenten, ihn zu amnestieren, fruchteten nichts.

Mittlerweile ist er auch nicht mehr der große Star von einst. Seit letztem Jahr wollte ihn auch Fenerbahce nicht mehr. Er mußte in der Zweitligamannschaft Istanbulspor kicken, bevor ihm die Lizenz wegen seiner Gefängnisstrafe entzogen wurde. Kurz vor seiner Verhaftung in Skopje gelang es ihm noch, ein Treffen mit dem türkischen Parlamentspräsidenten Hüsamettin Cindoruk, der auf Staatsbesuch in Makedonien war, zu arrangieren. Cindoruk gab ihm den Rat, sich zu stellen: „Sitz deine Strafe in der Heimat ab.“

Die treulosen Massen, die ihn einst bejubelten, wenden ihm heute den Rücken zu. Tanju hat nur noch einen kleinen Hoffnungsschimmer. Es wurde ihm in Aussicht gestellt, künftig die Gefängnismannschaft zu trainieren. Ömer Erzeren