Ohne Befehl abgetreten

■ Manfred Wörner war ein Hardliner und Militärliebhaber. Aus Deutschland nach Brüssel abgeschoben, galt er dort als gute Partie

Bis 1996 hätte die Amtszeit von Manfred Wörner als Generalsekretär der Nato gedauert. Er war fest entschlossen, sie durchzustehen. Als Wörner im Juni wegen seiner Krankheit nicht zum Nato- Gipfel nach Istanbul reisen konnte, ließ er seinen Pressesprecher verbreiten, daß ihm die Ärzte die Reise verboten hätten. Von sich aus hätte Manfred Wörner eine solche Entscheidung nie getroffen. Seit über zwei Jahren litt er an Darmkrebs, fünfmal schöpfte er nach Operationen Hoffnung, die Krankheit überwunden zu haben. Am Samstagnachmittag starb Manfred Wörner in seiner Wohnung in Brüssel.

1934 in Stuttgart geboren, wollte Wörner anfangs Pfarrer werden, studierte dann aber doch Jura und schrieb seine Doktorarbeit über ein Völkerrechtsthema. Mit 22 trat er in die CDU ein, mit 31 wurde er Bundestagsabgeordneter. Seine Vorstellungen von Frieden waren eng mit militärischen Konzepten verknüpft. Er engagierte sich im Verteidigungsausschuß und holte nach, was ihm als Jugendlicher des sogenannten „weißen Jahrgangs“ versagt geblieben war – weil er nicht hatte Soldat werden können, da die Bundeswehr noch nicht gegründet war, ließ er sich beim Jagdbombergeschwader 34 in Memmingen zum Piloten für Kampfflugzeuge ausbilden und formulierte sein imageprägendes Credo: Lieber zehn Stunden im Starfighter als eine Stunde im Bundestag.

Als Helmut Kohl 1982 Bundeskanzler wurde, holte er Manfred Wörner als Verteidigungsminister ins Kabinett. Wörner wurde seinem Ruf als Hardliner gerecht, als er sich bedingungslos für die Stationierung von Nato-Mittelstreckenraketen einsetzte und die Proteste der Friedensbewegung für Gefühlsduselei erklärte.

1984 hätte sich Wörner fast die Laufbahn ruiniert. Nach windigen Recherchen seiner Mitarbeiter schickte er den Viersternegeneral Günter Kießling fristlos in die Wüste. Kießling sollte angeblich homosexuell und, so Wörners Schlußfolgerung, damit erpreßbar sein. Auf Druck des Kanzlers wurde Kießling später rehabilitiert, der Verteidigungsminister galt als politisch kaum noch zu halten. Kohl saß die Affäre aus, und erst als 1988 der Stuhl des Nato- Generalsekretärs frei wurde, wurde Wörner nach Brüssel abgeschoben – wenigstens sahen das viele in Deutschland so. In der Nato dagegen galt Wörner, immerhin erster Deutscher an der Spitze des Bündnisses, als gute Besetzung.

Nach den Statuten ist der Job des Nato-Generalsekretärs reine Koordinierungsarbeit. Wörner aber beharrte auf seinen Vorstellungen und erarbeitete sich bei den 16 Mitgliedstaaten größeren Einfluß. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes war er es, der in weiten Bereichen das Konzept des Kooperationsrates ausarbeitete. Gemeinsam wurde eine Plattform für den Dialog mit den mittel- und osteuropäischen Staaten und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion entwickelt. Ein Sicherheitssystem, in dem die Staaten des Ostens und des Westens annähernd gleichberechtigt zusammenarbeiten, lehnte Wörner dagegen entschieden ab. Unter seiner Regie behielt die Nato auch nach dem Ende des Ost-West- Konfliktes weitgehend ihre Strukturen.

Seinen letzten Konflikt trug Manfred Wörner mit der UNO aus, die ihm in Bosnien nicht entschlossen genug vorging. Auch wenn er einen militärischen Einsatz zur Entwaffnung der Kriegsparteien oder auch nur zur Befreiung Sarajevos letztendlich für nicht realistisch hielt, so war doch wesentlich er dafür verantwortlich, daß die Nato Anfang des Jahres eine härtere Gangart einschlug.

Eine seiner größten Sorgen war die Vorstellung einer innerlich ausgehöhlten westlichen Verteidigung. Noch am 27. April dieses Jahres wetterte er vor Bundeswehrangehörigen und Politikern gegen den Abbau des Verteidungsbudgets. Wenn in der deutschen Öffentlichkeit der Eindruck entstehe, man könne mit der Bundeswehr beliebig umspringen, dann sei das der Anfang vom Ende sinnvoller Sicherheitsvorsorge.

Obwohl ihn seine schwere Krankheit zunehmend an der Arbeit hinderte, wollte niemand in der Nato Manfred Wörner überreden, als Generalsekretär zurückzutreten. Zu groß war die Sorge, daß sich mit der Frage um einen Nachfolger zwangsläufig auch eine Grundsatzdiskussion über die künftige Richtung der Nato entwickeln würde. Wörner blieb trotz langer Zwangspause auf seinem Posten. Er gehörte zu den Menschen, die ohne ausdrücklichen Befehl nicht zurückweichen. Einen Befehl, den niemand gab. Alois Berger, Brüssel