Das Erbe eines kalten Kriegers

■ Nach dem Tod des Generalsekretärs Manfred Wörner muß die Nato jetzt endlich über ihre zukünftige Rolle debattieren. Das Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten ist unfertiges Stückwerk. Zunächst aber ...

Nach dem Tod des Generalsekretärs Manfred Wörner muß die Nato jetzt endlich über ihre zukünftige Rolle debattieren. Das Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten ist unfertiges Stückwerk. Zunächst aber wird ein Nachfolger gesucht.

Das Erbe eines Kalten Kriegers

Als 1988 ein Nachfolger für Nato-Generalsekretär Lord Carrington gesucht wurde, war Manfred Wörner zu Hause wenig populär. Selbst viele seiner Parteifreunde hatten das skandalöse Verhalten des Verteidigungsministers in der fälschlicherweise nach dem Opfer benannten „Kießling- Affäre“ nicht vergessen. So galt der Wechsel des damals knapp 54jährigen von der Bonner Hardthöhe in die Brüsseler Nato-Zentrale vielen als Abstieg.

Daß der Generalsekretärsposten der Nato erstmals mit einem Deutschen besetzt wurde, lag jedoch nicht an den Bonner Kalkülen, sondern an den Überlegungen der Bündnispartner — vor allem in Washington, London und Paris. Die Kampagnen der Friedensbewegung gegen die atomare Aufrüstung und deren Auswirkung auf das politische Meinungsklima hatten insbesondere bei den politischen Eliten der USA, aber auch bei der konservativen britischen Regierung Zweifel an der künftigen Bündnistreue Westdeutschlands geweckt. Die Bonner Regierung — besonders lautstark Minister Wörner – verstärkte diesen Eindruck im Ausland noch mit ihrer jahrelang verbreiteten Propaganda, Bedenken gegen die neue atomare Aufrüstungsrunde seien „Anti-Amerikanismus“. Seit dem Amtsantritt Gorbatschows in Moskau 1985 wurde in Washington oder London immer häufiger das Gespenst einer neuen deutsch- sowjetischen Annäherung beschworen. Außenminister Hans- Dietrich Genscher galt zumindest in Washington zeitweise als anfällig für derartige Vorstellungen.

In dieser Situation entsprang die Berufung eines Deutschen auf den Stuhl des Nato-Generalsekretärs der Absicht, die Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Militärallianz zu sichern. Keiner schien dafür besser geeignet als Wörner. In seiner gesamten sicherheitspolitischen Karriere hatte sich Wörner als unverbrüchlicher Atlantiker erwiesen und immer wieder die führende Rolle der USA im Bündnis betont. Vom Tornado über die „Nachrüstung“ mit Pershing II und Cruise Missiles und die „Modernisierung“ der atomarer Kurzstreckenraketen bis hin zum Jäger 90 oder SDI unterstützte Wörner zudem entschieden alle wesentlichen Aufrüstungsvorhaben der 70er und 80er Jahre. Schon Ende der 70er Jahre hatte er sich als CDU-Bundestagsabgeordneter für eine Ausweitung der Nato-Aufgaben ausgesprochen und für ein Eingreifen in Südafrika plädiert, um die sowjetische Bedrohung abzuwehren.

Zu Zeiten der Regierung Brandt /Scheel hatte Wörner im Bundestag zu den aggressivsten Gegnern der Ostpolitik gehört. Mit seinen antikommunistischen Tiraden, dem schneidigen Auftreten, das er auch in seinen ersten vier Brüsseler Jahren noch mit sichtlichem Genuß zelebrierte, war Wörner in der Zeit vor seiner Berufung zum Nato- Generalsekretär ein Kalter Krieger par excellence — keineswegs ein „Kämpfer ohne Feindbild“, wie die Deutsche Presseagentur gestern ihr Porträt des Verstorbenen betitelte.

Einmal im Amt, wußte Wörner die in ihn gesetzten Erwartungen voll zu erfüllen. Zumal, als nach dem Umbruch vom 1989, auf den auch die Nato völlig unvorbereitet war, immer drängender die Frage nach der weiteren Existenzberechtigung der westlichen Militärallianz gestellt wurde und Forderungen nach einer gesamteuropäischen kollektiven Sicherheitsinstitution unter Einschluß Rußlands laut wurden. Möglichst viel von der alten Nato über diese Phase des Zweifels zu retten, dabei noch ihre Interventionsfähigkeit auszubauen, zugleich aber nach außen den Eindruck zu vermitteln, es fänden der neuen Situation in Gesamteuropa angemessene grundlegende Veränderungen statt — dieses „Verdienst“ kommt zweifellos vor allem Wörner zu. Von seiner immer wieder mit viel Emphase behaupteten „politischen Rolle“ der Nato für die Stabilisierung Osteuropas ist bis heute nichts zu sehen. Es sei denn, man versteht unter „politischer Rolle“ gemeinsame Manöver oder die „Standardisierung“ der Streitkräfte-Ausrüstungen in ganz Europa, das heißt im Klartext: massive Rüstungsexporte aus dem Nato-Bereich in die ehemaligen Feindesländer.

Mit dem Beharren auf der Nato als dominantem Instrument der Sicherheits- und Militärpolitik in Europa wurden die anfänglichen Hoffnungen osteuropäischer Staaten auf gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen mit gleichen Rechten und Pflichten aller Teilnehmerländer frustriert. Die Regierungen in Prag, Warschau, Budapest oder den drei baltischen Hauptstädten sahen sich vor die Alternative gestellt: Antrag auf Nato-Mitgliedschaft oder kostspielige Renationalisierung der Sicherheitspolitik. Zeitweise plädierte Wörner in den letzten zwei Jahren auch für eine Nato-Mitgliedschaft — allerdings nur der oben genannten Staaten sowie Kroatiens, Sloveniens und Bosniens, nicht aber Rußlands, der Ukraine, Rumäniens, Bulgariens und Serbiens. „Wir können nur diejenigen aufnehmen, mit denen uns gemeinsame Werte, Geschichte, Kultur und Religion verbinden“, begründete er diese Haltung einmal gegenüber der taz. Doch selbst eine begrenzte Nato- Erweiterung, für die bis zum Rückpfiff durch Kanzler Kohl auch Bundesverteidigungsminister Rühe plädierte, stieß in Washington und London auf Ablehnung. Nato-Generalsekretär Wörner mußte die weitgehend in Washington erdachten Konzepte des Nato- Kooperationsrates und der „Partnerschaft für den Frieden“ umsetzen – die jetzt allenthalben als das große Verdienst seiner Amtszeit gewürdigt werden. Schon bald dürfte sich zeigen, daß diese Konzepte keine Antwort auf die Sicherheitsprobleme und -bedürfnisse in Europa sind und sich die osteuropäischen Staaten damit nicht zufrieden geben werden.

Als mögliche Nachfolger werden derzeit der bei der Bestellung des EU-Kommissionspräsidenten unterlegene niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers, die Ex- Außenminister Belgiens und Dänemarks, Mark Eyskens und Uffe Ellemann-Jensen sowie der britische Verteidigungsminister Malcom Rifkind genannt; und Thorvald Stoltenberg, seit über einem Jahr erfolgloser UNO-Vermittler für Ex-Jugoslawien. Der Norweger, 1988 schon einmal gegen Wörner unterlegen, schloß letzte Woche gegenüber der taz eine Kandidatur allerdings praktisch aus. Er suche „einen Job, bei dem ich mehr Freizeit habe“. Als Wörners Nachfolger würde er außerdem weit weniger verdienen als die 21.000 US- Dollar, die er derzeit monatlich als UNO-Vermittler einstreicht. Andreas Zumach, Genf