Insgeheim ein Menschenfeind?

■ Eine Ausstellung in Bremerhaven erinnert an den 100. Geburtstag des malenden Stadt-Chronisten Paul Ernst Wilke

Bremerhaven Ein halbes Jahrhundert lang hat Paul Ernst Wilke seine Geburtsstadt am Wasser wieder und wieder gemalt. Im November würde der Bremerhavener hundert Jahre alt, der Bremerhavener Kunstverein würdigt ihn mit seiner Sommerausstellung: 44 Ölbilder des Heimatmalers hängen an den Wänden. Realistische Motive sind in festlich gedrechselte gold- und silberfarbene Rahmen gefaßt. Schiffe im Hafen. Fischkutter. Segelboote. Überseedampfer – Bremerhavener Ansichten im Stile impressionistischer Freilichtmalerei.

Wer Lebenslauf und Bilder des Künstlers betrachtet, ist frappiert: Von 1922, als Wilke sich nach seinen Studienjahren, in Berlin und Bremen, in Bremerhaven niederließ, bis 1969, blieben seine Motive, seine Malweise, seine Stimmungen fast immer die g1eichen: Paul Ernst Wilkes „geliebte Heimat“ besteht aus Wasser und Wolken, aus Schiffen, Masten, Schleusen, Kai- und Werftanlagen. Menschen tauchen in diesen Hafenlandschaften so selten auf als hätte der Liebhaber Angst gehabt, sie könnten seine Idylle trüben.

Einen drastischen Einbruch erlebt Wilke dennoch. Als er 1945 aus Worpswede nach Bremerhaven zurückkehrt und er die Innenstadt vor dem Alten Hafen völlig zerstört vorfindet. Aus den Trümmern, die er in mehreren Bildern festhält, ragt nur noch der Turm der Großen Kirche. Erst 1949 rauchen die Schornsteine der im Hafen liegenden Pötte wieder. Wilkes Bilder registrieren die erneute Entwicklung Bremerhavens zur pulsierenden Stadt, zum Tor zur Neuen Welt, das mit dem Linien-Verkehr nach New York am Columbus-Bahnhof geöffnet wird.

Die Ansichten Wilkes von der alten und der neuen Stadt waren gefragt: Sie hängen noch immer in Schulen und Hochschule, in Direktorenzimmern und in den Amtsräumen des Magistrats. Gesammelt und ausgeliehen wurden sie auch bei vielen Privatleuten, denn der freischaffende Maler, der chronisch knapp bei Kasse war, benutzte seine noch farbfrischen Werke häufig als Zahlungsmittel.

Zum Glück – oder zu seinem Pech – wird das 1971 verstorbene Geburstagskind Paul Erich Wilke mindestens so lange nicht vergessen werden, solange das Lied von der Lilli Marleen am Leben bleibt. Denn 1922 heiratete der Maler und Zeichner Wilke in erster Ehe die damals 16jährige Liselotte Bunnenberg. Die beiden hatten sich am Strand an seiner Staffelei kennengelernt. Jahre später, nach der Scheidung, wird Liselotte Bungenberg als Lale Andersen Karriere machen. Auch Lina Hagedorn (79), „Mädchen für alles“, so sagt die Buchhalterin, Kassiererin und Reinemachefrau in Bremerhavens Kunsthalle von sich selbst, erinnert sich an eine Begegnung mit Paul Ernst Wilke. Es war 1945, da hatte ihr Mann, ein Rechtsanwalt, den Maler Wilke auf dem Gerichtskorridor getroffen. Warum er so glücklich aussehe, fragte der Rechtsbeistand den Maler. Er habe sich gerade von seiner zweiten Frau scheiden lassen, die morgens immer so viel reden wolle. Also doch ein Misanthrop?

Hans Happel