Warten auf den Reißwolf

In den Kellern des Volkshauses an der Hans-Boeckler-Straße sind meterweise mehrere tausend Sozialbiographien abgelegt: graue, gelbe und rote Mappen, in Regalstapeln aufgehäuft oder in Hängeordnern eingereiht. Vormundschaftsakten über Adoptionen, Vaterschaftsfeststellungen, Versorgungsansprüche, Akten aus dem Amt für Flüchtlinge und Vertriebene, Akten über Fürsorgemaßnahmen und Akten über Sozialhilfeleistungen.

Seit den fünfziger Jahren türmen sich in diesen Kammern die Archivmaterialien des Amtes für soziale Dienste und warten geduldig auf den Reißwolf, längstens 51 Jahre. Die ältesten Dokumente datieren aus dem Jahr 1943 und stammen noch aus den Vorgängerarchiven. Allmählich werden die Keller zu klein, der Zuwachs ist gewaltig, und die Verwaltung denkt daran, weitere Räume für die Dokumente auszubauen.

Das Archiv ist jedoch kein kafkaeskes Kanzleibabylon, daß um seiner selbst willen wächst und wächst: es gibt behördliche und private NutzerInnen. „Es kommen immer wieder Bürger, die Einsicht in Vormundschaftsakten verlangen“, erklärt der zuständige Mitarbeiter des Amtes für soziale Dienste, Dieter Korinth. Das sei zum Beispiel bei adoptierten Kindern der Fall, die etwas über ihre leiblichen Eltern erfahren möchte. „Oder es geht um Nachlaßgeschichten, wenn uneheliche Kinder einen Erbteil einfordern“. Die Akten seien nach der Volljährigkeit des Mündels noch 30 Jahre aufzubewahren. „Da die Leute früher erst mit 21 Jahren volljährig wurden haben wir hier noch Dokumente aus den früher 40er Jahren“, erklärt Korinth.

Den Sozialhilfeakten geht es dagegen schon nach zwei Jahren an den Kragen. Da gibt es keinen Bedarf die Papiere zu erhalten. Beantragt ein Bürger nach dieser Zeit erneut Sozialhilfe, wird einfach eine neue Akte angelegt.

abi / Foto: Nikolai Wolff