Häuslein wechsel dich! Von Christine Berger

Maulwürfe lieben in der Regel das Dunkel, jeder Funken Licht ist ihnen ein Greuel. Wer aber keiner ist, sondern nur wie einer lebt, etwa in einer Erdgeschoßgruft ohne Tageslicht, der ist ziemlich übel dran. Doch auch solcherlei bemitleidenswerte Geschöpfe bekommen einmal im Jahr ihre Chance. Dann nämlich, wenn die lieben Freunde, die privilegiert mit Garten oder Dachterrasse in der Großstadt logieren, in Urlaub fahren. „Willst du nicht bei uns wohnen, während wir weg sind?“ lautet das verführerische Angebot, und angesichts der Chance, einmal richtig hell und komfortabel ein paar Sommerwochen zu überbrücken, kann keine noch so überzeugte Kellerratte widerstehen.

Das erste, was auffällt, wenn man solcherart einen Fuß in die fremde Häuslichkeit gesetzt hat, sind die vielen Merkzettel, die an Spiegeln, Blumenblättern, Schranktüren und Schubladen kleben. „Hier Katzenfutter, nur eine Dose am Tag!“ oder „Ficusblätter regelmäßig mit Anti-Läuse-Gel einreiben!“ ist darauf zu lesen. Auf dem Eßtisch liegt eine Fibel über mögliche Krankheiten bei Meerschweinchen, von denen sieben im Garten grasen, und außerdem ein handschriftlicher Vortrag darüber, was zu tun ist, wenn die schwangere Katze niederkommt.

Brav beginnt man die Beete zu bewässern, gießt Bier in kleine Sandförmchen, damit sich darin gefräßige Schnecken zu Tode saufen, und verfrachtet die empfindlichen Nagetiere ins Gartenhäuschen – was etwas länger dauert, weil natürlich sämtliche Meerschweinchen erst mal das Weite suchen. Ist im Garten schließlich alles versorgt, läßt man sich erschöpft in einen Liegestuhl plumpsen und will den idyllischen Ausblick genießen. Prompt streicht die Katze um die Beine und maunzt so sterbenshungrig, daß man nicht anders kann, als wieder aufzustehen, um eine Dose aufzumachen.

So geht das tagein, tagaus, und beim Einkaufen stellt man plötzlich fest, daß vor lauter Tier-Gemüse, Whiskas und Fischfutter plötzlich kaum noch Tragkraft für die eigenen Lebensmittel vorhanden ist. Spätestens jetzt beginnt der Reflexionsprozeß. Gab es in der letzten Zeit tatsächlich einmal eine ruhige Mußestunde im Garten, ohne daß der Blick ängstlich nach abgestorbenen Blättern suchte? Was für ein Schreck, als plötzlich die Katze eines der ausgebüchsten Meerschweinchen im Maul trug und dabei auffiel, daß das Raubtier nun nicht mehr schwanger war, sondern mit milchgefüllten Zitzen durch die Wohnung tigerte. Wo aber waren die lieben Kleinen? Einen Tag lang lag man zusammen mit der halben Nachbarschaft auf der Lauer, bis die Brut sich schließlich mit lautem Miauen in einem Packen alter Reifen outete.

Doch irgendwann sind auch die stressigsten Ferienwochen einmal um. Schnell füllt man noch die häuslichen Weinvorräte auf den vorgefundenen Level auf, gibt der Katze endlich ihren verdienten Tritt und dreht vor allem dem lästigen Garten den Rücken zu. Froh darüber, nur einen verstaubten Gummibaum zu besitzen, gräbt man sich wieder in seiner Dunkelkammer ein und läßt die Sonne eine gute Frau sein. Bis zum nächsten Jahr, denn dann hat einen das dumpfe Leben als Maulwurf wieder so weit gebracht, daß die Aussicht auf ein paar Lichtstrahlen durch fremde Fenster wie ein Geschenk des Himmels erscheint.