piwik no script img

■ 24 Stunden Haft: Holländische Bürger im Selbstversuch„Im Knast wird man nicht besser!“

Zutphen/Amsterdam (taz) – Die freiwillige Testperson hatte ein bestimmtes Gebäude in der ostholländischen Hansestadt Zutphen für eine Art Hotel gehalten. Nach 24 Stunden in der vermeintlichen Luxusherberge stotterte die Frau: „Ich bin echt nahe am Selbstmord gewesen.“ Mit 45 anderen Holländern hatte sie sich auf Initiative einer Regionalzeitung freiwillig einschließen lassen, Anlaß waren die immer wiederkehrenden Gerüchte, in einem holländischen Gefängnis eingesperrt zu werden sei keine richtige Strafe mehr. Einerseits würden den Delinquenten Einzelzellen mit Dusche, WC und Fernseher zustehen, andererseits würde bei Raumknappheit, statt die Zellen doppelt zu belegen, schon mal ein Verurteilter nach Hause geschickt. Doch alle Vorurteile konnten die Behörden nach dem Test getrost ausräumen. Ein künftiger Richter, der das Experiment wagte, urteilte nach seiner Entlassung: „Ich werde mir nun erst recht gründlich überlegen, ob ich später jemanden zu einer Gefängnisstrafe verurteile.“

Die 45 Freiwilligen waren wild entschlossen, im Knast keine Langeweile aufkommen zu lassen. Mit riesigen Paketen Büchern und Zeitschriften unter den Armen traten sie ihre Haft an. Das Gefängnispersonal kümmerte sich allerdings keinen Deut um die Unschuld der Gäste. Der Tag begann mit einer peinlich genauen Leibesvisitation. Einer der älteren Teilnehmer war regelrecht pikiert: „Die haben sogar in mein achterwerk gesehen.“ Andere Test-Gefangene klagten über die Verpflegung: „Ich habe die halbe Nacht in meinen eigenen Ausdünstungen gelegen.“ Diejenigen, die ihre Zelle mit anderen teilen mußten, waren auch unzufrieden. Es gab Streit, wer wann die Zellen-Toilette benutzen durfte.

Tagsüber wurde gearbeitet: Die Test-Gefangenen mußten Wäscheklammern zusammensetzen. Man klagte über schmerzende Finger und Blutblasen. Einer verwandelte sich gar vom Paulus zum Saulus und entwendete heimlich hundert Wäscheklammern von einem produktiveren Zellengenossen. „Ich muß feststellen, daß während des Gefängnisaufenthaltes das Schlechte in mir die Oberhand gewann.“ Aus Langeweile schmuggelte er anschließend ein Stück Draht in die Zelle, nur um damit einen Kurzschluß zu verursachen. Sein Fazit: Im Gefängnis wird man kein besserer Mensch.

Die ständig auf dem Flur herumschlurfenden und schlüsselrasselnden Wachtposten legten so manchen Nerv bloß. Ein Häftling rastete aus und schmiß in der Zelle alles durcheinander. Der Amoklauf war im ganzen Haus zu hören. Drei Damen wollten sich die Langeweile mit Sport vertreiben und klingelten einen Bewacher herbei – aber der beschied ihnen: „Ich muß mich um zwölf Gefangene kümmern, da ist für Sie keine Extrazeit.“ Anderntags mußten die Probe-Kriminellen hören, daß insgesamt drei der Testpersonen vorzeitig entlassen wurden, darunter der Amokläufer. Ein anderer hatte ein Trommelsolo abgelassen, was die Ruhe der Anstalt empfindlich gestört hatte. Die „echten“ Gefangenen allerdings nahmen begeistert auf, daß unter ihnen Undercover-Inhaftierte gesessen hatten, und belohnten diese mit Standing ovations „für den Beitrag zu einer realistischen Sicht der Mühsamkeiten des Gefängnisklimas“.

Der 106 Jahre alte Bau wird übrigens demnächst abgerissen, „um Platz zu machen für ein Gefängnis, das mehr hotelartige Allüren erlaubt“, so schreibt de Volkskrant. Einer der Teilnehmer des Experiments, Filialchef einer Bank, ersuchte bereits den Gefängnisdirektor, auch im neuen Gefängnis eine Nacht verbringen zu dürfen. Dann könne er sich ein noch besseres Urteil bilden. Falk Madeja

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen