Der Olympiasieger und die Standortfaktoren

■ Warum Baumann den EM-Titel in die Sammlung einfügt und Heike Henkel nicht

Berlin (taz) – „Man muß sich auf das besinnen, was man kann“, sagte dem Schwaben Dieter Baumann sein schwäbischer Kopf. Er sprach's, besann sich seiner Qualitäten und – gewann. Mit einer Selbstverständlichkeit, die darüber hinwegtäuscht, daß das langsame Rennen durchaus auch hätte anders ausgehen können. „Nur der Gewinner kann sagen, es war ein gutes Rennen“, resümierte der Mann vom Blautopf hernach alles andere als blauäugig. Unwohl hat er sich während der 25 Stadionrunden gefühlt wie schon lange nicht mehr. Eingekesselt lief er, mittendrin im Vielfüßler-Gewühl. „Wenn du zum falschen Zeitpunkt an der falschen Stelle bist, dann verlierst du alles.“

Baumann, Spitzname „weißer Kenianer“, was er zwar nicht eben gerne vernimmt, da er seine Rennen naturgemäß nicht im Rudel, sondern alleine zu gewinnen pflegt. Aber keiner hat sich so viel afrikanische Taktik abgeguckt wie ein Dieter Baumann. Folgerichtig ist er zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle. Setzt sich 250 Meter vor dem Ziel ab. Sein stärkster Konkurrent, der Brite Rob Denmark, steckt in der Klemme, eingekeilt von Armen und Beinen, also am falschen Platz. Baumann zieht einen langen Spurt an. Reißt die Arme seitlich nach oben wie ein ans Kreuz geschlagener Messias. Von wegen Europameister, „Gott sei Dank“, der Titel fehlte dem 29jährigen Olympiasieger in der Sammlung: „Ich bin ein absoluter Meisterschafts-, kein Rekordläufer.“ Pro Jahr reiche die Konzentration gerade für ein Rennen. Soll heißen, 1995 WM in Göteborg (Titel wegen Verletzung noch nicht vorhanden), 1996 Olympische Spiele in Atlanta und – Sydney im Jahr 2000: „So lange halte ich durch.“ Dann ist er 35.

30 ist Heike Henkel. Ihr Comeback nach kurzer Babypause war erwartungsgemäß ein Flop, nur kein so großer wie erhofft. „Meine Beine haben sich angefühlt, als hätte ich schon 10 Sprünge hinter mir.“ So fiel die Latte dreimal bei 1,90. Die Olympiasiegerin mußte sich mit Rang zehn begnügen: „Das kann mir doch niemand übelnehmen?“ Höchstens Trainer Osenberg: „Der Anlauf hat nicht gestimmt, die Sprungkraft fehlt, kein guter Wettkampf.“ coh

Diskus: 1. Dubrowschtschik (Weißrußl.) 64,78m, 3. Jürgen Schult 64,18; 4 x 400 m: 1. Großbrit. 2:59,13 min 5.000 m: 1. Baumann 13:36,93 min; Frauen, 1.500 m: 1. Ludmilla Rogatschowa (Rußl.) 4:18,93 min; 4 x 400 m: 1. Frankr. 3:22,34 min, 3. Deutschl. 3:24,10 Hochsprung: 1. Britta Bilac (Slow.) 2,00 m