Die Werbesteuer

Kippt das duale Rundfunksystem?  ■ Von Hans J. Kleinsteuber

Der Streit um Gebühren und Werbezeiten beherrscht die Diskussion um das duale Rundfunksystem. Unser Autor möchte die Debatte durch einen unkonventionellen Ansatz vom Kopf auf die Füße stellen.

Die Welt des bundesdeutschen Fernsehens scheint wohlgeordnet. Im dualen System konkurrieren seit 1984 öffentlich-rechtliche mit privaten Anbietern. Gebührenfinanzierte Sender treten gegen „gebührenfreie“ an – so hört man es zumindest gern von der Seite der Kommerzfunker. Tatsächlich kann man die Medienwelt aus mikro-ökonomischer Perspektive so simpel interpretieren. Der öffentlich-rechtliche Zuschauer zahlt für seine ARD- und ZDF-Programme 13,83 DM Rundfunkgebühr pro Monat. Für das gesamte kommerzielle Angebot berappt er keinen Pfennig. So denken die meisten.

In Wahrheit jedoch ist das nicht- öffentliche Fernsehen alles andere als ein kostenloses Geschenk. Makro-ökonomisch gesehen ergibt sich nämlich eine ganz andere Rechnung: Auch kommerzielles TV kostet eine Menge Geld. Um so mehr, da mit Geld auch Konkurrenzkämpfe ausgetragen werden und beispielsweise der Preiskrieg um Hollywood- und Wimbledon- Rechte die Programmkosten in ungeahnte Höhen treibt.

Kommerzielles Fernsehen finanziert sich bekanntlich ausschließlich aus Werbung. 1993 betrugen die Werbeeinnahmen der deutschen Privatsender gut sechs Milliarden (ARD und ZDF hatten gerade noch eine Milliarde, Tendenz: weiter sinkend). Teilen wir das gesamte TV-Werbeaufkommen durch die knapp 36 Millionen Haushalte der Bundesrepublik, so kommen wir auf über 170 DM pro Haushalt und Jahr. Das sind im Monat gut 14,30 DM; mehr, als die öffentliche Gebühr beträgt. 1993 stiegen die Nettowerbeeinnahmen des Fernsehens um 11,5 Prozent. RTLs Budget wuchs allein um 25 Prozent auf 1,8 Milliarden Mark.

Werbung fließt als Kostenfaktor in die Produktion von Alltagsprodukten ein – eben denen, die wir aus der Werbung kennen. Da uns nach aller Lebensweisheit nichts geschenkt wird, tragen letztlich wir, die Konsumenten, alle Kosten für das Gesamtprodukt. Auf jedem beworbenen Produkt liegt also eine kleine Extra-Abgabe an unsere Privatmedien. Diesen Betrag pro Einzelprodukt genau zu berechnen ist unmöglich. Es geht hier um eine – zugegeben – pauschale Gesamtkalkulation. Was dabei herauskommt, nenne ich „Werbesteuer“. Steuer, weil sie auf dem Kaufpreis der Produkte liegt, vergleichbar der Mehrwertsteuer. Ähnlich einer Steuer ist sie in den Alltag integriert und bleibt unauffällig. Sie ist unabwendbar, wir zahlen sie, selbst wenn wir nie die werbefinanzierten Programme schauen. Auch wer den Fernseher abgeschafft hat, wird noch zur Kasse gebeten. Schwarzsehen ist unmöglich geworden. Wie wackelig sieht im Vergleich zur „Werbesteuer“ der öffentlich-rechtliche Finanzierungsmodus aus? Das Bundesverfassungsgericht monierte gerade im Februar, daß jede Gebührenerhöhung von allen 16 Länderparlamenten abgesegnet werden muß. Die Gebühr dem Prozeß der Parteienpolitik zu entziehen und objektive Kriterien zu entwickeln, das ist sicherlich die Lösung der Zukunft. Die größere Gefährdung, nämlich daß die Legitimation der Gebühren verfällt, ist dadurch freilich nicht gebannt. Was passiert erst, wenn die Gebühr mit vielen Pay-Kanälen im zukünftigen digitalen Fernsehen konkurrieren muß?

Wie also sieht die Zukunft des dualen Systems aus? Vor zehn Jahren noch hatten die Öffentlich- Rechtlichen ein Sendemonopol, heute halten sie kaum mehr 50 Prozent des Marktes. Internationale Erfahrungen zeigen, daß Dualität zumeist ein reines Durchgangsstadium zu einer kommerziellen Hegemonie ist. In gereiften dualen Systemen, wie Australien und Kanada, in denen private Konkurrenten den Öffentlichen seit Jahrzehnten gegenüberstehen, sind letztere längst in die Nische abgedrängt worden. Die massenattraktiven Angebote wurden systematisch von den Privaten aufgekauft. Das Resultat: Der Marktanteil der Öffentlichen beträgt heute gerade noch 10 bis 20 Prozent.

Eine zunehmende Zahl von Bürgern in Kanada und Australien sah nicht mehr ein, weshalb für die wenig geliebten Programme noch zu zahlen sei. In beiden Staaten brach die Gebührenfinanzierung zusammen. Die Rundfunkanstalten werden seitdem aus dem Staatssäckel alimentiert. Der dirigistische Einfluß der Politiker – Gift für jeden öffentlichen Anbieter – nahm noch zu. Eine polarisierte Arbeitsteilung entstand, die jedem dualen Gedanken hohnspricht: Die Privaten bieten die massenattraktiven Unterhaltungsprogramme, die Öffentlichen übernehmen den Rest, der nicht gewinnbringend vermarktbar ist: Bildung, Minderheitenprogramme, Kultur und Politik.

Von dualer Balance, das sollte deutlich sein, kann hier nicht mehr die Rede sein. Und an Gratisangebote der Privaten sollte niemand mehr glauben. Die Rechnung zahlt immer der Verbraucher.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Hamburg.