Rüffel für Abschieberichter

■ Bundesverfassungsgericht entscheidet: Türkischer Vater eines deutschen Kindes darf in Hamburg bleiben Von Kai von Appen

Sensationelles Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG): Ausländer, die in familiärer Bindung mit einer Deutschen zusammenleben, dürfen nicht abgeschoben werden – selbst dann nicht, wenn sie zuvor gegen das Ausländergesetz verstoßen haben. Grund: Das Grundrecht zum Schutz der Familie steht über dem Ausländerrecht. Damit erteilten die Verfassungsrichter dem Hamburger Oberverwaltungsgericht (OVG) eine heftige Ohrfeige und hoben das Urteil gegen Kerim Baran auf.

Kerim Baran lebt – wie berichtet – seit 15 Jahren in Deutschland. Sieben Jahre war der 37jährige Türke mit einer Deutschen verheiratet, hat jetzt die Scheidung eingereicht. Aus der Beziehung mit seiner heutigen Verlobten Gabriele Hower ging die vier Monate alte Leyla hervor.

Trotz des Kindes betrieb die Hamburger Ausländerbehörde die Abschiebung. Begründung: Weil seine Ehe zu Bruch gegangen ist, habe er auch kein Aufenthaltsrecht mehr. Das OVG folgte dieser Auffassung und ignorierte damit eine BVG-Entscheidung aus dem Oktober vorigen Jahres mit dem Tenor: Eine Abschiebung darf nicht erfolgen, wenn ein Vater dadurch von seinem deutschen Kind getrennt werde. Am 15. Juli wanderte Baran in den Abschiebeknast Glasmoor. Sein Anwalt Dr. Matthias Scheer konnte allerdings die Abschiebung durch eine Verfassungsbeschwerde stoppen.

In einer Neuauflage sprach das BVG nun abermals ein Machtwort und verdonnerte das OVG zum Nachsitzen, um das Urteil zu revidieren. Wichtigster Kernsatz des BVG-Beschlusses: „Die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, drängt regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück.“ (siehe Dokumentation)

Im Hamburger Justizapparat schlug der BVG-Spruch wie eine Bombe ein. Justizbehördensprecher Jürgen Weinert: „Der Beschluß hat weitreichende Konsequenzen.“ Auch Ausländerbehördensprecher Norbert Smekal zeigte sich beeindruckt: „Wir müssen die Entscheidung prüfen und analysieren, ob sie präjudizierend für andere Fälle ist.“ Die Ausländerbehörde habe sofort die Haftentlassung angeordnet. Dennoch wanderte Kerim Baran zunächst noch ins Untersuchungsgefängnis, weil das Amtsgericht wegen Verstoßes gegen des Ausländergesetz Haftbefehl erlassen hatte. Begründung: Angeblich sei Baran untergetaucht - und das, obwohl er seit zehn Jahren dieselbe Wohnung bewohnt. Auf Anordnung der Justizbehörde kam er gestern endgültig frei.

Beim OVG herrschte wegen des BVG-Entscheids heftiger Katzenjammer. Eine Konferenz jagte die andere. Gerichtssprecher Uwe Müggenheimer versuchte zu verharmlosen: „Wir bewerten den Beschluß als eine reine Einzelfallentscheidung.“ Auf Nachfragen mußte er allerdings dann doch einräumen, daß das Urteil Grundsatzcharakter haben könnte und damit die Rechtsauffassung des OVG - die strikte Auslegung von Paragraph 17 Ausländergesetz – in Frage stelle. Müggenheim: „Die Entscheidung weist diese Tendenz auf. Es könnte mal so sein, daß sie zur Rechtssprechung des Verfassungsgerichts wird.“ Im Klartext: Das Ausländergesetz ist in diesem Punkt verfassungswidrig, Familien dürfen nicht auseinandergerissen werden, auch wenn vor der Ehe ein Verstoß gegen das Ausländergesetz vorgelegen hat. Doch schon jetzt kann der BVG-Beschluß weitreichende Folgen zeigen: In den vergangenen Wochen sind immer wieder Fälle bekannt geworden, bei denen der ausländische Ehemann einer Deutschen aus diesem Grund abgeschoben werden sollte.

Barans Anwalt Matthias Scheer bewertet den BVG-Beschluß als einen großen Erfolg: „Zum ersten Mal ist anerkannt worden, daß sich auch ein nicht-ehelicher Vater grundsätzlich auf den Schutz der Familie berufen kann.“