„Die Franzosen sind natürlich zuerst dran“

■ Generalstaatsanwalt Dieter Neumann zu dem Vorhaben, dem Top-Terroristen Carlos wegen des Anschlags auf das Maison de France in Berlin den Prozeß zu machen

Dieter Neumann ist Generalstaatsanwalt beim Berliner Kammergericht und damit oberster Strafverfolger des Landes Berlin.

taz: Gestern ist Carlos in Paris dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden. Haben Sie mit Herrn Brugiere schon wegen des deutschen Auslieferungsersuchens Kontakt aufgenommen?

Dieter Neumann: Wir wollen den französischen Kollegen erst einmal Zeit geben, tief Luft zu holen. Seit der Festnahme von Carlos sind erst zwei Tage verstrichen. Herr Brugiere war in Urlaub, ich habe mit ihm noch nicht gesprochen.

Bei dem Anschlag auf das „Maison de France“ in Berlin geht es um einen Toten und 22 Verletzte, bei den Anschlägen in Frankreich um 15 Tote und 250 Verletzte. Wegen eines Falls ist Carlos bereits in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bis Sie Carlos in Berlin den Prozeß machen können, werden Sie sich demnach wohl noch eine Weile gedulden müssen.

Die 15 Toten und 250 Verletzten sind eine Statistik der Medien. Carlos wird sehr viel angelastet. Was davon beweisbar ist, wird die Zukunft zeigen.

Ich weiß nicht, was die Franzosen im einzelnen vorhaben. Ich habe auch nur den Medien entnommen, daß sie beabsichtigen, ihm noch einen Prozeß zu machen. Aber wie dem auch sei: Die Franzosen sind natürlich zuerst dran. Sie haben ihn in ihrem Gewahrsam. Wenn er in Frankreich rechtskräftig verurteilt ist und sich in Strafhaft befindet, wäre der Zeitpunkt gekommen, wo wir den Wunsch haben, daß man ihn uns „ausleiht“.

Carlos' Vorführung vor den Untersuchungsrichter in Paris fand auf Geheimwegen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Da kommen auf das Kriminalgericht Moabit ja schlimme Zeiten zu. Schon beim jetzigen Mykonos- Verfahren gleicht das Gebäude einer Festung.

Der Prozeß in Berlin wird sicherlich schwer werden, was die Sicherheitsvorkehrungen angeht, und man kann darüber diskutieren, ob man sich so etwas antun soll. Ich meine: ja. Man kann nicht die Flinte ins Korn werfen, weil man meint, es könnte gefährlich werden. Ich habe keinen Zweifel, daß wir in der Lage sind, die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Vorausgesetzt, Carlos würde in Berlin verurteilt, wo würde er diese Strafe absitzen?

Wenn wir ihn rechtskräftig verurteilen können, könnte der deutsche Strafanspruch erst dann erfolgen, wenn der Strafanspruch von Frankreich erfüllt ist. Wann das sein wird, vermag ich nicht abzusehen. Interview: Plutonia Plarre