■ Das Portrait: Graf Bernstorff
Wer je mit verwuselten Haaren aus einer Bretterbehausung im Gorlebener Hüttendorf gekrabbelt ist, kam auch mittags rechtzeitig zum Frühstück. Aber zu spät für ihn: Um diese Zeit ist der Herr mit akkurater Frisur und Kniebundhosen schon Stunden durch seine Wälder gestreift, hat Bäume markiert, Holzpreise ausgehandelt und im Erkerzimmer des Gartower Schlosses seine Mittagszigarre geschmaucht. Ein merkwürdiges Gespann, seit gut sechzehn Jahren: die Atomkraftgegner in Gorleben und Andreas Graf Bernstorff, 52 Jahre alt, Vater von fünf Kindern und einer der größten Grundbesitzer im Norden Deutschlands.
Wo immer man seinen Fuß rund um das Gorlebener Atomprojekt hinsetzt, fast immer steht man auf Bernstorffscher Wiese oder in gräflichem Wald. 1978 weigerte sich Bernstorff, 600 Hektar seines Besitzes für den „Entsorgungspark Gorleben“ zu verkaufen – trotz Kaufangeboten in zweistelliger Millionenhöhe. Seit Jahren streitet er vor Gericht dagegen, daß der Salzstock unter seinem Land zum atomaren Endlager mißbraucht wird.
Als die Atomkraftgegner 1980 die „Republik Freies Wendland“ ausriefen, war „der Graf“ noch in der CDU. Und ohne Gorleben, glaubt der gelernte Forstwissenschaftler und überzeugte Christ, wäre er es wohl noch Adel gegen AtomkraftFoto: Jaques Sehy
heute. Aber die Koalition von Hütte und Palast blieb eine Beziehung auf Distanz. Andreas Graf Bernstorff ist zwar überzeugt, „daß es ein Pakt mit dem Bösen“ gewesen wäre, sein Land den Atommagnaten abzutreten. Aber ein radikaler Atomkraftgegner ist er nicht. Damals, gesteht er heute, hätten die Zweifel ihn „fast aufgefressen“, ob er nicht doch hätte verkaufen sollen. „Familienbesitz“ ist ihm ein Schlüsselwort. Daß Adel verpflichtet – gegenüber der Umwelt und den dort lebenden Menschen – ist ihm jedoch ebenso in Fleisch und Blut gegangen. In die Gorlebener BI wollte er sich dennoch nie einbinden lassen, „weil ich als Grundeigentümer auch einen besonderen Part spielen muß“. Das Privileg ist ihm bewußt: „Andere Menschen haben nicht die Möglichkeit, dadurch Widerstand zu leisten, daß sie nicht käuflich sind.“ Noch vor Jahren war ihm jede nicht legale Aktion suspekt. Heute sagt der Herr im Schloß Gartow: „Wenn jemand zutiefst davon überzeugt ist, daß eine Sache schädlich ist, dann hab' ich Verständnis, daß man sich nicht immer an die Legalität halten kann.“ Friede diesem Palast! Vera Gaserow
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