Flüchtlinge beenden UN-Blockade

■ Kroatische Vertriebene brachen ihre Aktion an den Checkpoints zur Krajina ab / 260.000 Menschen heimatlos

Wien (taz) – Die Blockaden von UN-Checkpoints an der Demarkationslinie zwischen der „Serbischen Republik Krajina“ und Kroatien durch mehrere tausend kroatische Vertriebene wurde gestern abgebrochen. Die Menschen, die zum größten Teil zu Beginn des Krieges um die exjugoslawische Republik vor drei Jahren ihre Heimatorte verlassen mußten, hatten vor 47 Tagen ihre Aktion begonnen, um gegen die UN-Politik zu protestieren. Denn im Windschatten des Krieges in Bosnien spricht niemand mehr von den annähernd 260.000 von serbischen Milizen vertriebenen Kroaten.

Obwohl ihre Rückkehr in mehreren serbisch-kroatischen Abkommen der Kroaten festgelegt wurde und sich die UN verpflichtet hatten, alle paramilitärischen Einheiten in den serbisch besetzten Gebieten Kroatiens zu entwaffnen, bauen serbische Freischärler ihre Stellungen weiter aus. Das selbsternannte „Parlament“ der „Serbischen Republik Krajina“ forciert derweil den Anschluß an das „Mutterland“ Serbien – vor den Augen der machtlosen Blauhelme. In den letzten drei Jahren blockierten aufgebrachte Flüchtlinge immer wieder die 19 offiziellen Checkpoints zur Krajina, um auf ihre aussichtslose Lage hinzuweisen und von den UN-Verantwortlichen Garantien für ihre Rückkehr zu bekommen.

Das erfolglose Ende der gestern beendeten jüngsten Blockadeaktion bestärkt derweil internationale Friedensvermittler in der Vermutung, die Aktionen seien längst nicht mehr spontan, sondern inszenierte Machtdemonstrationen, mit denen Kroatiens Präsident Franjo Tudjman seinen Machtanspruch auf die Krajina zu untermauern sucht. So werde der „Bund der Vertriebenen“ Kroatiens für seine „Öffentlichkeitsarbeit“ großzügig aus der Regierungskasse finanziert, Vertriebenen-Vorsitzender Mato Simić gilt als enger Vertrauter und persönlicher Berater des Präsidenten.

Derweil sind in Zagreb vierzig Bauern aus Petrovac unweit von Plitvice in aller Munde. Die Menschen hatten sich im Sommer 1991 entschlossen, ihre Heimatgemeinde zu verlassen. Dort, mitten im berühmtesten Nationalpark des damaligen Jugoslawien, tobte zu dieser Zeit der Krieg zwischen serbischen Freischärlern und der schlecht ausgerüsteten kroatischen Bürgerwehr. Als auch Petrovo- Selo von serbischer Infanterie eingekreist wurde, blieb den Menschen nur noch der Weg über die Berge nach Bosnien. Dort wurden die Flüchtlinge nicht nur aufgenommen – sie durften sich auch niederlassen. Verständlich, daß sich die Kroaten seitdem ihren Gastgebern verbunden fühlten. Als deren Oberhaupt Fikret Abdić ein Jahr später seine eigene „Autonome Region Westbosnien“ ausrief und der Regierung in Sarajevo den Krieg erklärte, stellten sie sich auf seine Seite – und verloren. Letzte Woche wurde die Abdić- Republik von bosnischen Regierungstruppen überrannt, und die Kroaten von Petrovo-Selo waren erneut zur Flucht gezwungen. Mit UN-Hilfe erreichten sie letztes Wochenende endlich ihre Heimatrepublik.

Präsident Tudjman könnten seine selbst angezettelten Vertriebenen-Aktionen indessen in eine unangenehme Lage bringen: Seinem Volk suggeriert er, die kroatische Armee sei stark und willens, die serbisch-besetzten Gebiete „bis zum letzten Millimeter“ zurückzuerobern. Gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft hat er sich aber verpflichtet, „das Problem auf friedlichem Wege“ zu lösen und mit der serbischen Seite über Verhandlungen einen Kompromiß zu finden. Derweil besteht durch den schwelenden Krieg in Bosnien ständig die Gefahr, daß die Kampfhandlungen über die Save nach Kroatien überschwappen könnten. Der im Staatsfernsehen kommentarlos ausgestrahlte Protest der Vertriebenen aus Petrovo-Selo spricht für sich: „Entweder die oder wir.“ Karl Gersuny