Der Weichensteller aus Eppendorf

■ Vor 50 Jahren wurde Ernst Thälmann von den Nazis im KZ Buchenwald ermordet / Eine Würdigung einer historischen Reizfigur Von Kay Dohnke

Die Jahreswende 1918/19 war für Hamburgs politisches Leben eine äußerst turbulente Phase. Seit wenigen Wochen erst verantwortete der Arbeiter- und Soldatenrat die Geschicke der Stadt. Sein revolutionärer Elan jedoch stieß vielfach auf Widerstand: SPD, der alte Senat, konservative Militärs sowie große Teile von Gewerbe und Industrie versuchten, den Wandel vom autoritären System der Kaiserzeit in eine Räterepublik zu verhindern. Rückhalt kam allein von den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), jener linke Flügel von Kriegsgegnern, der sich 1917 von der Mutterpartei gelöst hatte.

In diesem politischen Kräftefeld tauchte Ende November 1918 ein neuer Akteur auf: Ernst Thälmann, Sohn eines Fuhrmannes aus Eppendorf, Gelegenheitsarbeiter und Gewerkschaftsfunktionär, der gleich nach Friedensschluß von Versailles in die Hansestadt zurückgekehrt war. Spontan trat das langjährige SPD-Mitglied Thälmann zur USPD über und bildete mit anderen jüngeren Parteiangehörigen eine oppositionelle Gruppe, die die Beibehaltung des Rätesystems forderte und die Revolution verteidigte.

Der Erste Weltkrieg machte ihn zum Pazifisten

Bereits als Kind hatte Thälmann krasse Klassenunterschiede beobachten können. Die Mitarbeit im Gemischtwarenladen der Eltern, Einkaufsfahrten mit dem Vater in den Hafen oder auf die Bauernhöfe des Umlandes, besonders aber der Kontakt zu Mitschülern aus Arbeiterfamilien konfrontierten ihn früh mit sozialer Ungerechtigkeit und weckten sein politisches Engagement. Der Hafenarbeiterstreik von 1896 veranschaulichte dem 10jährigen, daß es auch Widerstand und Selbsthilfe geben konnte.

Nach der Schulentlassung im Jahr 1900 arbeitete Thälmann im elterlichen Geschäft mit; 1902 verließ er die Familie und schlug sich als Bühnenarbeiter, Schauermann im Hafen und Brauereifahrer durch. Weitere Stationen auf dem politischen Lebensweg: 1903 Beitritt zum Transportarbeiterverband und zur SPD, militärische Ausbildung 1906, Fahrten nach Amerika als Kohlentrimmer 1907. Aushilfsjobs wechselten mit Arbeitslosigkeit; immer aber betätigte sich Thälmann in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und übernahm Funktionen auch in der Partei.

Anfang 1915, gleich nach seiner Heirat, mußte Thälmann in den Krieg des Kaisers ziehen. Die Erlebnisse als einfacher Kanonier an den französischen Fronten vor Verdun und Metz ließen ihn zum Pazifisten werden. Bei seiner Rückkehr nach Hamburg brachte er für eine kriegstreiberische SPD kein Verständnis mehr auf.

Er begann, nach radikaleren linken Positionen zu suchen. Sein nachhaltiger Aktivismus profilierte ihn in der politischen Szene: 1919 wurde Thälmann als Kandidat der USPD für die Reichstagswahl aufgestellt, sprach auf Massenkundgebungen, reiste als Delegierter zum Parteitag nach Halle. Die Diskussion um die künftigen Ziele der Partei beeinflußte seine Position: Aus der Absage an den unklaren Mittelkurs zwischen SPD und KPD wurde die konsequente Orientierung nach links, die im Anschluß an den Hamburger „Bund der revolutionären Obleute“ ihren Ausdruck fand – jener überwiegend aus Hafen- und Werftarbeitern gebildeten Gruppe, die schon in den Novembertagen maßgeblichen Einfluß ausgeübt hatte.

Der Niedergang des Rätesystems im Frühjahr 1919 verstärkte das Bestreben der oppositionellen USPDler nach Einigung des Proletariats. Thälmann, der Mann der Basis, galt bald als Identifikationsfigur jener Arbeiter, die den Zwist innerhalb der Linken nicht verstanden. Am 11. Mai wurde er zum ersten Vorsitzenden der Hamburger USPD gewählt – daß er noch immer als Notstandsarbeiter im Stadtpark tätig war, obwohl er seit den Märzwahlen die Partei in der Hamburgischen Bürgerschaft vertrat, hatte sein Ansehen unter den Mitgliedern nur vermehrt.

In der Folgezeit setzte sich Thälmann maßgeblich für die Vereinigung von linker USPD und KPD sowie den Anschluß an die Kommunistische Internationale ein. 1921 übernahm er den Vorsitz in der Hamburger KPD-Ortsgruppe, traf mit Lenin und Trotzki zusammen und stieg 1924 in die Parteispitze der Kommunisten auf. Im selben Jahr erhielt er einen Sitz im Reichstag.

Kleinliche Diskussionen um die Thälmann-Gedenkstätte

1925 wurde er Chef von KPD und Rotem Frontkämpfer-Bund, kandidierte für die Reichspräsidentenwahl und für das Europäische Komitee der Kommunistischen Internationale. Erst die Verhaftung durch die Nationalsozialisten beendete am 3. März 1933 seine politische Laufbahn. Nach über elfjähriger Einzelhaft wurde Ernst Thälmann am 18. August 1944 auf Weisung Himmlers im Konzentrationslager Buchenwald erschossen.

Ernst Thälmanns politische Rolle war nach dem Krieg in Hamburg immer wieder Ziel heftiger Angriffe. Kleinliche Diskussionen gab es auch um die 1965 in seinem letzten Wohnsitz im Haus Tarpenbekstraße 66 eingerichtete Gedenkstätte. Durch eine erfolgreiche Spendenaktion ist ihr Fortbestand nun auf mehrere Jahre gesichert, und steigende Besucherzahlen – 2.500 Gäste im Jahr 1993 – belegen, daß die zunehmend differenzierte Haltung zu Person und Wirken Thälmanns durchaus Bedeutung hat in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Hamburgs politischer Geschichte.