Der Bombenterror

■ Hans-Günther Prigge hat den Angriff im Hochbunker Baumstraße überlebt Ein Bericht des langjährigen „Brodelpott“-Mitarbeiters (Jg.'28)

18. August 1944. Seit 5 Jahren herrscht Krieg in Europa. Es ist heiß; praktisch Badewetter. Kurz vor Mitternacht begann der Angriff. Die ersten Bomben fielen. Die Beleuchtung im Bunker fiel aus. Es fällt Bombe auf Bombe. Eine ungeheure Spannung liegt in der Luft. Man hört auch im Bunker ein Gemisch aus Motorenlärm, dem Heulen der heruntersausenden Sprengbomben und den Explosionen der Luftminen und Sprengbomben. Das Aufprallen der über 150.000 Brandbomben ist im Bunker nicht wahrnehmbar.

Man hat den Eindruck, als wenn wir alle vernichtet werden sollen. Todesangst erfaßt uns alle. Plötzlich ein besonders lauter Knall, und der Luftdruck ist besonders groß. Alle halten ihre Hände auf den Kopf, wie ich im Feuerstrahl erkenne. Dann leuchtet die Sturmlaterne für einige Augenblicle wieder. Ich sehe, daß einige Leute aus Nasen und Ohren bluten. Viele klammern sich aneinander. Eine junge Frau, wahrscheinlich Russin, ergreift auch meinen Arm. Ich kann keinen Schutz bieten. Der Bombenterror beherrscht die Atmosphäre. Viele Mitleidende beten.

Da - Punkt 0.30 Uhr, Totenstille. Ist wirklich Schluß? Endlich wieder Licht in der Petroleum-Laterne. Wir schauten uns alle an. Wir lebten. Keiner sagte etwas. Vielleicht auch deswegen nicht, weil wir alle eine andere Muttersprache hatten. Das Inferno war zu Ende. Langsam wurde richtig durchgeatmet. Es war ein Gefühl wie wiedergewonnene Freiheit. Es gab nur leichte Verletzungen durch den Luftdruck. Unser Bunker hatte gehalten.

Es wurde gegen 4 Uhr morgens, als sich die ersten Soldaten von der Stephaniebrücke aus vorgearbeitet hatten und den Bunker erreichten. Keiner von uns konnte nach Hause gehen. Es gab für alle kein Zuhause mehr. Die Straßen waren wegen der großen Hitze unpassierbar. Um zu sehen, wie es bei uns am Gröpelinger Deich und beim Elternhaus meiner Mutter in der Wiedstraße aussah, mußte ich nordwärts gehen. Aus ca. 100 Meter konnte ich erkennen, daß unser Haus und alle Nachbarhäuser ausgebrannt waren. Hier habe ich auf der Fahrbahn liegend die ersten Toten gesehen.

In der Bogenstraße war ich in Phosphor getreten. Eine Schuhsohle brannte. Zum Glück fand ich in der Nordstraße einen Sandhaufen. Auf den Straßen lagen viele Tote. Es ist schwer, ihren Zustand zu beschreiben. Die Gefahr, von einstürzenden Häuserruinen getroffen zu werden, war riesengroß. Im Haferkamp ergab sich ein unvorstellbares Bild: Auf einer Sitzbank, die auf dem Spielplatz Danziger Freiheit aufgestellt war, saß das Ehepaar Wanzella mit Blick auf ihr ausgebranntes Haus und Eiscafé. Neben der Bank standen ihre Koffer und Luftschutzgepäck. Sie saßen dort wie unversehrt, nur daß ihre sowieso schon krausen Haare noch krauser waren. Beide waren tot. Dieses ca. 60-jährige italienische Ehepaar kannte jeder dort, hatten sie uns doch immer sehr freundlich ihr wohlschmeckendes Eis verkauft. Vorbei an vielen weiteren Toten und bei großer Hitze durch Trümmer kamen wir schließlich in das Gebiet Steffensweg/Elisabethstraße. Hier sahen wir erstmals wieder unzerstörte Häuser.

Am 19. August habe ich einen Großteil des zerstörten Gebietes noch einmal aufgesucht. Es ergab sich ein trostloses Bild. Besonders ergreifend war die Lage am Panzenberg. Der Panzenberg war eine Kreuzung mit fünf Abzweigungen. Heute befindet sich dort die Meta-Sattler-Straße. Am Panzenberg gab es u.a. das Lesmona-Gebäude, worin sich früher einmal eine Zigarettenfabrik befand. Während des Krieges wohnten dort weit über 100 dienstverpflichtete Männer aus dem gesamten Reichsgebiet, die in Bremer Rüstungsbetrieben arbeiten mußten. Im Keller befand sich ein als ziemlich sicher geltender Luftschutzraum. Dieser Schutzraum wurde 200 Menschen zum Verhängnis. Durch Risse in den Wänden waren Kohlenoxydgase eingedrungen. Die völlig unversehrt aussehenden Leichen wurden aus dem Keller geholt und auf der Straßenkreuzung gestapelt. Diese Arbeit machten 17-18-jährige Männer des Reichsarbeitsdienstes.

Für mich persönlich begann am 19. August 1944 eine sehr schwere Zeit ohne feste Wohnung.

Der Bericht von Hans-Günther Prigge wurde für die taz gekürzt und leicht bearbeitet. Der vollständige Text erscheint in eine Broschüre der Kulturinitiative Brodelpott zum 19.August 1944