Außen hui, innen pfui

Künstler und Galeristen wehren sich mit offenem Brief gegen Kürzung der Mittel für Ateliersofortprogramm / 600 Künstler auf Warteliste  ■ Von Anne-Kathrin Schulz

Das Angebot klingt vielversprechend: 120-Quadratmeter-Atelierwohnung in Kreuzberg für 1.400 Mark warm. Ein Preis, der für Computerfirmen oder Werbeagenturen kein Problem ist, aber die ursprünglichen Nutzer von Ateliers im Regen stehenläßt. „Für Künstler ist die Situation in Berlin so schlecht wie noch nie“, sagt Krista Trebbe, Leiterin des Kunstamtes Kreuzberg. Bei ihr sei es inzwischen Alltag, daß Künstler anrufen und einfach nicht mehr weiter wüßten.

Nach Angaben des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) gehen jährlich 200 Ateliers verloren, weil die Kunstschaffenden die Miete nicht mehr bezahlen können. Langfristig will das Land Berlin über Fördermittel neue Ateliers schaffen. Um kurzfristig Arbeitsraum zu sichern, hatte der Kultursenator 1993 im Rahmen eines Ateliersofortprogramms 2,5 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Aus diesen Mitteln hatte der von ihm beauftragte Ateliervergabebeirat im letzten Jahr über 100 Ateliers angemietet und zu günstigen Mieten an Künstler weitergegeben.

Dieses Programm scheint allerdings gefährdet, nachdem überschüssige Mittel aus dem vergangenen Jahr trotz gegenteiliger Empfehlung des Hauptausschusses eingefroren und die Mittel für 1994 nicht, wie geplant, aufgestockt, sondern um 400.000 Mark reduziert wurden. „Uns sind jetzt die Hände gebunden“, sagt Bernhard Kotowski, ehemaliger Atelierbeauftragter beim Kultursenator. Er glaubt, daß die Einsparungen dort erfolgt sind, „wo es am bequemsten war“.

Dem widerspricht der Abteilungsleiter für bildende Kunst bei der Senatskulturverwaltung, Bernd Mehlitz. Angesichts der Haushaltslage sei eine Aufstockung nicht möglich, die Überschüsse von 1993 würden für den Neubau von Ateliers verwendet. Außerdem werde versucht, durch „Seitenfinanzierung“, das heißt mit Geldern aus anderen Töpfen der Kulturverwaltung, zusätzliche Ateliers zu schaffen. Nach Angaben des Berufsverbandes Bildender Künstler stehen derzeit über 600 Künstler auf der Warteliste, jeden Monat kommen zwanzig dazu. „Der Kultursenator müßte das Atelierproblem zu einer zentralen Aufgabe machen“, fordert Herbert Mondry, Vorsitzender des BKK. Es könne nicht angehen, daß über 95 Prozent des Kulturetats in Museen für die Repräsentation Berlins nach außen eingesetzt würden, während Künstler in der Stadt nicht mehr arbeiten könnten. Unterstützt wird diese Forderung inzwischen von 60 Künstlern und Galeristen, unter ihnen Rebecca Horn und die Galerie Springer, die sich jetzt in einem offenen Brief an den Kultursenator Roloff-Momin gewandt haben.

„Dieses Sofortprogramm ist zur Zeit die einzige Möglichkeit, für Künstler in der Stadt bezahlbare Ateliers zu schaffen“, sagt Alke Brinkmann, bildende Künstlerin und Vorsitzende des Ateliervergabebeirats. Künstler könnten selten mehr als 5 Mark Miete pro Quadratmeter zahlen, eine Förderung sei deshalb unumgänglich. „Der Kultursenator arbeitet derzeit gegen die Interessen der Künstler.“

Dieser Meinung ist auch Krista Trebbe vom Kulturamt Kreuzberg. Sie diagnostiziert eine „völlige Abwesenheit jeglicher Zielsetzung“ in der Kulturpolitik. „Da lebt man von der Hand in den Mund, und wer am lautesten schreit, bekommt am meisten Geld.“ Besonders der ehemaligen Mauernische Kreuzberg drohe aufgrund steigender Mieten ein ähnliches Schicksal wie einst den Pariser Innenstadtbezirken. „Da haben sie das Kulturleben totmodernisiert“, so Trebbe, „mit dem Ergebnis, daß Paris in der zeitgenössischen Kunst keine große Rolle mehr spielt.“

Der BKK-Vorsitzende Mondry glaubt, daß schon jetzt viele Künstler die Stadt verlassen oder aufgeben, weil sie zu lange nach einem Arbeitsraum gesucht haben: „Nach einem Jahr sind die Kontakte flöten, und dann verkriechen sie sich irgendwo.“