Ekstase bis zum Kollaps

■ Wie GymnasiastInnen gepflegt gut draufkommen / Die Partydrogen der Bremer Tekkno-Kids

Klaus Behler, Sachgebietsleiter beim für Drogendelikte zuständigen Kommissariat 4, runzelt die Stirn: Die Anzahl der Jugendlichen, die in Bremen regelmäßig Ecstasy nehmen, kann er nur schätzen: „Ich nehme an, das liegt bei 10 bis 15 Prozent.“ Der Kripobeamte sieht Bremen von Partydrogen „regelrecht überschemmt“, die Stadt nehme nach Frankfurt, Berlin und Hamburg bundesweit den vierten Platz ein.

Zur Zeit ist Ecstasy, kurz XTC, der Renner unter den Partydrogen, zu denen außerdem Speed, LSD und Kokain gezählt werden. Einer der Gründe liegt in der Erscheinungsform: Während Speed und Koks in Pulverform feilgeboten werden undLSD als oft exotisch bedruckte Briefmarke, wird XTC als Tablette angeboten. Und die ist den Jugendlichen von klein auf vertraut: Da betäubt Mutter ihre Schlafstörungen mit Novalgin, dort beruhigt Vater seinen dicken Kopf mit Aspirin. Das ist normal, und so greifen auch 16jährige zur Tablette, wenn sie sich für stundenlanges Tekkno– Dancing, fürs „weekend-raving“ dopen wollen.

Zwar verzeichnet die Polizei parallel zu XTC wieder einen höheren Konsum von LSD, aber die meisten Jugendlichen schrecken vor den LSD-typischen halluzinogenen Wirkungen zurück. Im Unterschied zu Speed (Leistungsdroge), Alkohol (dumpfe Geselligkeitsdroge), Haschisch (Entspannungsdroge) und Kokain (Egodroge) entspricht XTC als pushende Kommunikationsdroge genau den Bedürfnissen der Jugendlichen nach Wochen-endabflug: XTC hat eine tranceartige und zugleich psychisch stimulierende Wirkung. Harmonie- und Zärtlichkeitsgefühle dominieren gegenüber Angst und Aggressionen. XTC, heißt es in einer von der Frankfurter Gesundheitsdezernentin herausgegebenen Broschüre, „steigert dein Ich-Feeling und öffnet dein Herz. Deshalb kann man gut auf sich selbst und andere Leute abfahren.“

Die Wirkung setzt innerhalb einer Stunde ein. Trotz vorübergehender Steifheit in Fingern, Armen und Beinen nimmt das Berührungsempfinden zu. Das Herz schlägt schneller als normal, der Appetit geht auf Null zurück. Die meisten fühlen sich nach einer halben Stunde leicht und unbeschwert, die Schmerzempfindlichkeit sinkt, körperliche Grenzen werden nicht mehr wahrgenommen. Ohne Pause verzehren sich die Jugendlichen stundenlang im Beat des Tekkno, werden auf der Tanzfläche Teil eines pulsierenden Gesamtkörpers – häufig bis zum Kreislaufcrash.

Daß Tekkno und XTC zusammen ein „geiles Feeling“ erzeugen können, leugnet selbst Frankfurts Gesundheitsdezernentin nicht: „Durch die Suggestion der synthetischen Musikklänge und Rhythmen, durch den Reiz der künstlichen Lichtintervalle und die atmosphärische Aktivierung der körperlichen, psychischen und geistigen Energien beim Tanzen ensteht eine sprachlich kaum faßbare Dichte von Körperimpulsen und Kommunikationssignalen, die die Grenzen alltäglicher Kontakte und Berührungen überschreiten.“ So schön ist's allerdings selten. Nicht nur, weil viele Kids verschiedene Drogen auf einmal nehmen, sondern weil der Stoff, aus dem die Träume sind, häufig unsauber gemixt ist.

Unter dem Etikett XTC werden verschiedenste Rauschsubstanzen angeboten. Chemisch ähnlich aufgebaut wie Speed oder LSD, wird XTC je nach individueller Herstellung mit Füllstoffen versehen, die zu unterschiedlichen Wirkungsweisen führen. Rote Kugeln, blaue Ovale, weiße Stäbchen – „wir müssen“, bedauert Klaus Behler die ewigen Neuerungen, “immer erst nachweisen, daß sie unter das BTM-Gesetz fallen.“ Noch nicht erfaßte Substanzen sind kurze Zeit später von der BTM-Ergänzungsliste aufgenommen.

Vor etwa sechs Jahren kam die XTC-Herstellung aus den USA über Großbritannien und Holland nach Deutschland. Neuerdings zählen Polen und Tschechien zu den maßgeblichen Produktionsländern. Sieht man einmal von den 1989 von zwei Imhausen-Chemikern produzierten und vom BKA beschlagnahmten 20 Tonnen Amphetaminen ab, hat die hiesige Polizei noch kein Labor ausgehoben, das auf die Massenproduktion synthetischer Drogen angelegt war.Bremen wird weitgehend aus Holland beliefert. Eine XTC-Tablette, die dort etwa 6 Mark kostet, geht hier zum Preis von 20 bis 50 Mark über den Tresen. Die Spanne erklärt, warum viele KonsumentInnen den Eigenbedarf über den Verkauf finanzieren.

„Der Bremer Ecstasy-Markt ist fest in der Hand von Discobesuchern“, berichtet Behler. Hat jemand eine Quelle mit gutem Stoff aufgetan, wird der an Bekannte weitergegeben. Gehandelt wird, wo man Tekkno spielt. Kürzlich hat die Polizei auch bei Fixern zum Verkauf bestimmtes XTC gefunden. Eine Vermischung der Märkte findet jedoch nur im Einzelfall statt, „normalerweise fürchten die Ecstasy–Konsumenten das Heroin wie der Teufel das Weihwasser.“ Das Erscheinungsbild der Junkies paßt nicht zu dem, was die Kiddies im Kopf haben. Sie wollen nicht in Sucht und Verelendung abgleiten, sondern einfach gepflegt gut draufkommen.

„XTC ist eine typische Droge für Leute aus dem gymnasialen Bereich“, bestätigt Brunhilde Christoph, Mitarbeiterin des Schulpsychologischen Dienstes. „Die wollen das Wochenende durchtanzen.“ An den anderen Tagen verhalte sich die Mehrheit „völlig unauffällig.“ Auch Klaus Behler sieht im „neuen Freizeitverhalten“ ein wesentliches Motiv für den XTC-Konsum: „Die Schüler sind sehr mobil, wenn sie am Wochenende die Sau rauslassen.“ Dieses beginne mit dem Essen in der Pizzeria, der anschließende Disco-Besuch ziehe sich bis in den Morgen. „Ohne Schlaf fahren die nach Hamburg zur Tagesdisco und kommen zurück zum Hangout“, freilich wieder im Tanzschuppen. Es gebe Discos, die sich regelrecht auf Relaxing-Parties spezialisiert haben und sonntags bis 24 Uhr Musik anbieten, um das Wochenende ausklingen zu lassen.

Behler: „Dieser Marathon ist natürlich eine extreme Belastung für den Körper. Das ist eigentlich nur mit Amphetaminen schaffen.“ Die Auszehrung des Körpers wird extrem, wenn die Kids im stundenlangen Tanzrausch nichts trinken, weil sie es schlicht vergessen, oder die Getränke zu teuer sind. Es soll Discobesitzer geben, die extra die Wasserhähne auf den Klos abdrehen. „Eine Schweinerei“, sagt Behler, und Brundhilde Christoph: „Das ist saugefährlich.“

Bis heute gibt es keine Untersuchungen darüber, ob XTC langfristig zu körperlicher Abhängigkeit führt. Doch die psychische Abhängigkeit bei Dauerkonsum ist ebenso nachgewiesen wie körperliche Langzeitschäden: Der „E“-Film kann zur Drogenrealität werden, Persönlichkeitsveränderungen begleiten Depressionen und Angstzustände. LangzeitkonsumentInnen leiden unter Auszehrung, Gedächtnislücken, Konzentrations- und Stoffwechselproblemen, unter Störungen im Neurotransmitter-Haushalt. In Einzelfällen folgten Gelbsucht und Nierenschäden dem exzessiven XTC-Konsum. Schon der einmalige Gebrauch kann für die extrem gefährlich werden, die zuckerkrank sind, unter Herz- und Kreislaufproblemen, Schilddrüsenüberfunktion, Epilepsie oder Leberfunktionsstörungen leiden.

Die für Prävention verantwortliche Schulpsychologische Beratungsstelle sieht davon ab, eine nur auf Partydrogen abgestellte Vorbeugung zu betreiben, „schließlich ist egal, ob jemand mit Hasch oder Alk den Abgang macht.“ Die Prävention bezieht sich vielmehr auf die Sucht als solche. Viel Arbeit, bestätigt Klaus Behler: „Uns ist heute klar, daß man Drogen nicht aus den Discos raushalten kann. Auch wir haben das zu spät erkennt. Wir wurden regelrecht von der Tekkno– Welle überrollt.“

Dora Hartmann