Zwangseinweisungen nahmen rapide zu

■ Das Hauptgesundheitsamt zieht Bilanz

In Bremen werden im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders viele Menschen in die Psychiatrie eingewiesen: weit über 600 allein im Jahr 1993, also doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Das geht aus einer gestern veröffentlichten Selbstdarstellung des Gesundheitsamtes hervor. Ausgerechnet Bremen, wo man mit der Psychiatriereform eigentlich die Nase vorn hatte, wo mittlerweile sogar rund um die Uhr ein Krisendienst bereitsteht, der auch Hausbesuche macht. „Wahrscheinlich bekommen wir eben wegen der Haubesuche und der durchgängien Verfügbarkeit mehr Elend und Krisen zu sehen als andere“, sagt der Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Hugo Biehl. Eine Zwangseinweisung ist erlaubt, wenn die Betroffenen sich selbst oder andere gefährden.

Ob durch mehr Einweisungen wegen drohender Selbstgefährdung folgerichtig die Zahl der Suicide heruntergegangen ist, kann Hugo Biehl allerdings nicht sagen: Begleitforschung ist selten im Bremer Gesundheitsamt, bleibt sozusagen der feierabendlichen Bereitschaft der MitarbeiterInnen überlassen. Biehl hält allerdings noch eine zweite Erklärung für die hohe Zahl der Zwangseinweisungen für möglich: In Bremen werden PsychiatriepatientInnen möglichst ambulant behandelt. In die stationäre Behandlung kommen sie nur, wenn sie zwei-, dreimal im Jahr ihre kritischen Schübe haben – eben diese humaneren kurzzeitigen Einweisungen lassen die Statistik hochschnellen.

Auch sonst entspricht die heutige Tätigkeit des Bremer Gesundheitsamtes vielen Klischeevorstellungen nicht: Röntgenuntersuchungen oder Kammerjägerei gehören schon lange nicht mehr zu den Hauptbeschäftigungen, und den Bockschein für Prostituierte hat Bremen schon vor Jahren abgeschafft. Nein, das Hauptgesundheitsamt hat sich neue Schwerpunkte gesucht: Aus der traditionellen Prostituiertenfürsorge entwickelte sich die Beratung bei sexuell übertragbaren Krankheiten. Das Gesundheitsamt in Bremen Nord spürt die Defizite in der Schmerz-Therapie auf. Und auch die Abteilung „Gesundheit und Umwelt“ beschäftigt sich schon lange nicht mehr nur mit der klassischen Hygieneproblemen – wenngleich das Thema Salmonellen nach wie vor brisant ist, müssen doch immerhin rund 20 Prozent der gemeldeten Salmonellenkranken ins Krankenhaus. Mehr noch aber beschäftigt sich diese Abteilung mit Schadstoffen, Formaldehyd, Asbest, PCB zum Beispiel. Erst auf Drängen des Gesundheitsamtes werden jetzt in der Gesamtschule West Fenster eingebaut, die auch geöffnet werden können.

Manche Abteilung des Gesundheitsamtes hat sich mittlerweile gar in die Projekteszene getraut – so bietet man seit letztem Jahr im Seniorenbüro in der Neuen Vahr Beratung für pflegende Angehörige an. Die Krebsberatung arbeitet mit dem Gesundheitsladen zusammen. „So was war vor zehn Jahren nicht denkbar“, sagt Thomas Hilbert vom Gesundheitsamt.

Jetzt würde man sich gern um die Gesundheitsprobleme der zunehmend verarmenden Bevölkerungsgruppen kümmern, womit längst nicht mehr nur die Obdachlosen gemeint sind – allein, es mangelt am Geld. „Nur Ideen haben wir genug“, sagt Heinz-Jochen Zenker, Leiter des Amtes. cis