: Wundervolle Mär um eine Goldgrube
Ein „Ossi“ und ein „Wessi“ liefern sich einen erbitterten Rechtsstreit um die Hotelgaststätte „Waldfrieden“ am Sacrower See im Südwesten Berlins, und die Treuhand mischt mit ■ Von Ralph Altmann
Dies ist eine Geschichte über Wunder. Von Wundern profitieren im Märchen die Armen, doch wir sind ja nicht im Märchen. Auch der, der in dieser Geschichte von diesen Wundern eindeutig Nachteile hat, ist nicht arm. Er hat ein ansehnliches Haus in Potsdam und ist trotzdem keiner dieser „unredlichen Erwerber“, sprich Westgrundstücks-Nutzer, die jahrzehntelang Geld und Arbeitskraft ins Heim steckten, doch zu spät die Zeichen der Zeit erkannten und den Kaufantrag erst unter der Modrow-Regierung stellten. Um dieses Haus geht es auch gar nicht, sondern um ein großes Gebäude im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Groß-Glienicke und West- Berlin.
Bernd Schmidt, studierter Wirtschaftwissenschaftler und ehemaliger Versorgungsleiter der Potsdamer Pädagogischen Hochschule, bekam es erst nach der Wende zu Gesicht. Er tat das, was kluge (West-)Politiker bei den „Ossis“ so oft vermissen: Er entwickelte „unternehmerische Initiative“. Das Gebäude war nach 1961 von der Stasi als Schulungsheim genutzt und bald nach der Maueröffnung verlassen worden. Anfang 1990 übereignete das Ministerium für Staatssicherheit das Gebäude samt Grundstück der Gemeinde Groß-Glienicke, die es öffentlich ausschrieb. Schmidt bekam unter acht Bewerbern den Zuschlag und schloß mit der Gemeinde einen Pachtvertrag über fünfzehn Jahre.
Schon im Mai 1990 konnte er die Hotel-Gaststätte „Waldfrieden“ eröffnen. In den folgenden Monaten steckten er und sein Teilhaber Koallick etwa 700.000 Mark aus Krediten in Ausbau und Renovierung. Die Medien feierten das Projekt als eines der ersten großen Privatisierungsvorhaben in der damals noch bestehenden DDR. Am 24. September 1990 konnte Schmidt sogar einen Kaufvertrag über das knapp 3.000 Quadratmeter große Grundstück abschließen. Kaufpreis: 152.078,10 Mark. Das sieht nur heute aus wie ein Wunder, damals war es ein durchaus üblicher Preis. Inzwischen haben Schmidt und sein Kompagnon ihren unternehmerischen Mut auch an anderen Orten bewiesen und unter anderem in Babelsberg eine Gaststätte eröffnet, im erzgebirgischen Seiffen ein Hotel.
Das Gasthaus „Waldfrieden“ am Ufer des Sacrower Sees, der zu den wenigen klaren Seen in Berlin und Umgebung gehört, ist jedoch die „Goldgrube“ unter allen Objekten, gibt Schmidt zu. Das muß bald auch Hans Georg Hupe erkannt haben, der Großneffe des Erben, welcher wiederum nach allen Regeln aller diesbezüglichen Verträge und Gesetze keine Chance hat, das Grundstück zurückzubekommen – falls kein Wunder geschieht. Der ehemalige Besitzer, der Berliner Likörfabrikant Harry Sobiech, wurde wegen des Vorwurfs von Kriegsvergehen per Befehl der Sowjetischen Militäradminstration (SMAD) enteignet, sein Besitz in Volkseigentum überführt.
Mit einem Schönheitsfehler: Aus Hupes Sicht hätte nur der Besitz in Groß-Glienicke, nicht aber das Randberliner Grundstück enteignet werden dürfen, das Sobiech damals bereits seiner Frau übereignet hatte. Mit diesem Argument stellte Hupe im September 1990 einen Rückübertragungsanspruch. Ein reichliches Jahr später konnte er beim Bezirksgericht Potsdam durchsetzen, daß der Verkauf des Grundstücks durch die Gemeinde für unrechtmäßig erklärt wurde. Inzwischen war die Treuhandgesellschaft gebildet worden, und der standen laut Treuhandgesetz alle ehemaligen MfS-Liegenschaften zu. Einzige Ausnahme: sie wären denn sofort in soziale oder öffentliche Zwecke überführt worden.
Hupe verfolgte seinen Restitutionsanspruch weiter und setzte nebenbei die Betreiber des „Waldfriedens“ massiv unter Druck. Und nun beginnen die Wunder: Schmidts Antrag auf Entscheidung nach dem Investitionsvorrangsgesetz (Paragraph 3a) wurde abgewiesen, obwohl er die Investoren einschließlich zwölf Arbeits- und vier Ausbildungsplätzen nicht erst versprochen, sondern schon verwirklicht hatte. Mehr noch, das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (LAROV) wies den Anspruchsteller Hupe (trotz noch schwebenden Rückübertragensverfahrens) als Geschäftsführer des „Unternehmens Waldfrieden“ ein. So etwas sieht der Paragraph 6a des Vermögensgesetzes bei Rückübertragung von Unternehmen vor.
Doch ein Unternehmen, eine Pension war der „Waldfrieden“ nur bis kurz nach dem Krieg. Erst Schmidt machte aus dem Gebäude, das die Stasi dem Verfall überlassen hatte, wieder ein solches. Zudem hat Hupe weder Erfahrungen noch Qualifikation im Gaststätten- und Hotelgewerbe. Hier ging es nicht darum, einen maroden, führungslosen DDR- Betrieb vor dem Konkurs zu retten, es ging allein um Geld. Weshalb das LAROV dem Antrag Hupes folgte, läßt sich nur vermuten. Als der Autor vor zwei Jahren schon einmal an dieser Sache recherchierte, bezeichnete LAROV- Leiter Hartmut Pelz den Antrag Hupes auf vorläufige Einweisung noch als „sehr schwierig“. Wenig später bestätigte er am Telefon die faktische Ungleichbehandlung von Betroffenen des Eigentumsstreits mit den Worten: „Wir verfahren im Interesse der Altberechtigten etwas großzügig.“ So wird es gewesen sein.
Schmidt hat gegen den Teilbescheid des LAROV Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Hupe seinerseits klagt, mit der LAROV-Entscheidung in der Hand, in einem Zivilprozeß auf Zwangsräumung des „Waldfrieden“. In der ersten Instanz bestätigte das Potsdamer Bezirksgericht die Rechtmäßigkeit der Räumungsforderung, entschied jedoch, das Verfahren so lange auszusetzen, bis der Verwaltungsstreit entschieden ist. In der zweiten Instanz hob das Oberlandesgericht diese Aussetzung als „rechtswidrig“ wieder auf. Der Vorsitzende Richter Beilich wischte nicht nur alle noch zu DDR-Zeiten geschlossenen Verträge als „unrechtmäßig“ vom Tisch, er lehnte auch die Verlängerung der Räumungsfrist bis zum Saisonende ab. Über eines wunderte er sich allerdings auch: Der Kläger hat laut Urteil der ersten Instanz für den Fall, daß sich die Zwangsräumung im nachhinein doch als Unrecht erweist, nur eine Sicherheit von 5.500 Mark zu hinterlegen. Der Angeklagte Schmidt mußte jedoch, allein um in die zweite Instanz gehen zu können, eine knappe Viertelmillion Kaution hinterlegen.
Ein viel größeres Wunder ist aber, daß Hupe diesen Prozeß überhaupt führen kann – er ist ja (noch) nicht rechtmäßiger Eigentümer des „Waldfriedens“, Eigentümer ist die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft TLG, die sich vor wenigen Monaten aufgrund des besagten Treuhandgesetzes ins Grundbuch eintragen ließ. Sie hat den Anspruchsteller Hupe ermächtigt, in ihrem Namen, aber auf seine Kosten die Zwangsräumung gegen Schmidt gerichtlich durchzusetzen. Diese Vertretung im Rechtsstreit nennt sich „gewillkürte Prozeßlandschaft“, ein Amtsdeutsch, das zur unfreiwilligen Selbstironie wird. In der Pressestelle der TLG hieß es, das müsse ein Irrtum sein – die TLG ginge solche Vertretungen prinzipiell nicht ein. Prinzipiell nicht, im Fall „Waldfrieden“ ja. Warum?
Auch sollte man meinen, daß Treuhand-Pflicht die gewinnbringende Privatisierung ihres Eigentums und nicht die Wiedereinsetzung von Alteigentümern ist. Welches Interesse haben die zuständigen Treuhand-Mitarbeiter, einen Anspruchsteller so massiv zu unterstützen? Die TLG hat Hupe ja nicht nur die Prozeßvollmacht eingeräumt, sondern auch zugesichert, ihm den „Waldfrieden“ zu verkaufen, falls er das Rückübertragsunsverfahren nicht gewinnt. Bernhard Bischoff, Abteilungsleiter Eigentumsfragen/Restitution bei der TLG, verweist zur Begründung auf die vorläufige Besitzeinweisung Hupes nach Paragraph 6a durch das LAROV. Richter Beilich hat dagegen in der Verhandlung erklärt, „unabhängig vom Ausgang des Streits um Paragraph 6a“ könne Schmidt in das „Innenverhältnis“ zwischen Hupe und TLG nicht eingreifen. Was jedoch nichts anderes bedeutet, als daß dieses „Innenverhältnis“ mit dem Rückübertragungsanspruch und der darauf fußenden Einweisung gar nichts zu tun hat. Womit aber dann?
Außerdem behauptet Bischoff, die Übergabe des Gebäudes vom MfS an die Gemeinde sei ungültig, der Pachtvertrag Schmidts mit der Gemeinde folglich auch. Logisch: wer etwas nicht besitzt, kann es auch nicht verpachten. Das hatte das LAROV noch anders gesehen und Schmidt zumindest die Gültigkeit seines Nutzungsrechts zugestanden.
Laut Bischoff soll es zwischen 1989 und 1990 Hunderte solcher „unrechtmäßigen“ Übergaben der Stasi an Gemeinden gegeben haben. Die werden nun möglicherweise alle wieder aufgerollt. Schmidts Anwälte fürchten, daß mit dem jetzigen Verfahren ein Präzedenzfall geschaffen werden soll. Sie kündigen an, vor den Bundesgerichtshof zu gehen. „Wir werden nicht hinnehmen, daß Verträge mit Gemeinden nach den damals geltenden Gesetzen heute für unwirksam erklärt werden!“ Wie gesagt, geht es um viel Geld. Hupe schätzt den Umsatz des von ihm beanspruchten Unternehmens auf weit über eine Million Mark, und das ist ja nur eines von Hunderten, vielleicht Tausenden nach der Wende vergebenen MfS-Objekten.
Schmidt und seine Anwälte rechnen nicht mehr mit einem Sieg, hoffen jedoch auf die Bestätigung des Nutzungsrechts und damit auf die Möglichkeit, die Investitionen wieder herauszuwirtschaften, ehe der „Waldfrieden“ geräumt werden muß. Darüber hinaus geht es den beiden Anwälten inzwischen auch um die Überprüfung der „Machenschaften“ von Treuhand und Vermögensämtern. Doch auf dem Weg zur höchsten Instanz hat die jüngste Gerichtsentscheidung noch eine gewaltige Hürde errichtet: Nun muß Schmidt schon 465.000 Mark „Sicherheit“ für den Kläger Hupe hinterlegen, für den Fall, daß auch der Bundesgerichtshof die Rechtmäßigkeit der anstehenden Zwangsräumung bestätigt.
Mit der Verpachtung habe die Gemeinde gemäß ihrer Obhutspflicht gehandelt, gab einer der Anwälte bei der letzten Verhandlung zu bedenken. Welche Alternative habe sie denn in den Wirren der Wende gehabt, um das Gebäude vor Zerstörung zu bewahren? Richter Beilich – er war zwölf Jahre Richter am Oberlandesgericht in Kassel – ging darauf gar nicht ein. „Kluge Gemeinden haben sich zurückgehalten“, sagte er. Und die weniger klugen? Sie haben auf ein Wunder gehofft.
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