„Einige wollten sich versetzen lassen“

■ Burkhard von Walsleben, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, fordert als Konsequenz aus den jüngsten Polizeiübergriffen eine verstärkte Dienstaufsicht

taz: Die Vorwürfe gegen die zehn Beamten haben eine neue Qualität. Es wird gegen einen halben Zug und auch gegen Vorgesetzte ermittelt...

Burkhard von Walsleben: Daß gegen einen halben Zug ermittelt wird, ist eine Größenordnung, die wir bis jetzt noch nicht hatten. Es betrifft drei Hauptmeister und drei Obermeister, das sind die Gruppenführer.

Es spricht alles dafür, daß die Beamten bei den gewalttätigen Übergriffen planmäßig vorgegangen sind.

So ist es. Es muß erforscht werden, wie es überhaupt möglich ist, daß eine größere Anzahl von Polizeibeamten, und es waren ja auch zwei Frauen dabei, über einen längeren Zeitraum organisiert Straftaten in dieser Größenordnung begehen konnten. Wenn 20 Leute von solchen Dingen Kenntnis haben, läßt sich so etwas normalerweise kaum geheimhalten.

Was für gruppendynamische Prozesse laufen da ab?

Es ist sicherlich falsch verstandene Kameradschaft. Und ab einem gewissen Zeitpunkt haben vielleicht einige nicht mehr den geordneten Rückzug antreten können. Sie haben vielleicht gedacht, ich war beim ersten Mal dabei und habe mich selbst strafbar gemacht, und nun kann ich nicht mehr zurück. Einige haben versucht, sich versetzen zu lassen, allerdings ohne Angabe von Gründen. Aber weil es nicht genügt, nur zu sagen, das Klima ist so schlecht, ich will hier weg, ist man dem nicht nachgekommen. Da hätte man hellhörig werden müssen.

Wer hätte handeln müssen?

Der Vorgesetzte war ein Kommissar zur Anstellung, also ein relativ junger Kollege. Das ist auch so ein Problem: Früher gab es bei den geschlossenen Einheiten einen sogenannten „Lebensälteren“ als stellvertretenden Zugführer. Das war ein Kollege über 40, als gestandene Säule. Die Zugführer waren junge Fachhochschüler. Jetzt sind nur noch junge Leute dort. Dementsprechend sind auch die Ergebnisse. Man müßte wieder stärker auf Kollegen mit mehr Lebenserfahrung zurückgreifen.

Welche weiteren Konsequenzen müssen gezogen werden?

Die Dienstaufsicht in den Führungsebenen muß künftig verstärkt werden. Es kann nicht sein, daß Polizeiführer nicht mehr wissen, was in ihren Einheiten passiert. Das trifft für geschlossene Einheiten genauso zu wie für die Beamten im Polizeiabschnitt. Die Dienstaufsicht darf sich nicht darauf beschränken, daß die Vorgesetzten die schriftlichen Arbeiten ihrer Mitarbeiter kontrollieren, sondern sie müssen wirklich wissen, was in ihrem Zug oder in ihrer Dienststelle vorgeht.

Wie soll das konkret aussehen?

Dienstvorgesetzte müssen verstärkt die Einsätze persönlich begleiten. Man muß mit rausfahren, um zu sehen, wie die Leute vor Ort arbeiten. Auch in Gesprächen kann man feststellen, ob es Probleme gibt und wie die Kollegen denken. Da fallen ja auch mal Bemerkungen, die aus dem Munde eines Polizeibeamten vielleicht nicht die richtigen sind.

Was müßte darüber hinaus getan werden?

Die gesamte Fortbildung muß erweitert werden, vor allem die soziale Kompetenz muß geschult werden, nach dem Motto, welches Berufsbild habe ich als Polizeibeamter. Das muß viel mehr herausgearbeitet werden, sonst ist das nach einem Vierteljahr wieder vergessen.

Der Frust, der durchaus vorhanden ist, muß aufgefangen werden. Die Leute in den geschlossenen Einheiten haben die miserabelsten Dienstgrade und machen im Grunde die Dreckarbeit, wo es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen mit dem polizeilichen Gegenüber kommt. Die, die am schlechtesten besoldet werden, sind in der vordersten Reihe. Diese Leute müssen ein anderes Berufsbild bekommen und sich selbst anders sehen. Das geht nicht von heute auf morgen. Da muß noch viel gemacht werden, und es wird ja auch schon etwas getan. Es ist ja nicht so, daß man aus den vergangenen Dingen nichts gelernt hat. Es gibt ein Anti-Streß-Training in den geschlossenen Einheiten. Man ist da auf einem guten Weg, aber das dauert alles.

Gibt es Defizite in der Ausbildung?

Schon bei den Einstellungsvoraussetzungen sollten andere Schwerpunkte gesetzt werden. Man kann nicht nur schauen, wieviel Fehler jemand im Diktat macht oder wie sportlich er ist.

Worauf müßte stärker geachtet werden?

Es muß ein neues Anforderungsprofil für die Einstellungsprüfung erarbeitet werden. Dabei muß im Vordergrund stehen, welche soziale Kompetenz, welche Einstellung und was für einen Charakter der Bewerber hat. Interview: Dorothee Winden