: Provocharme
■ Die Talkshow-Oma "III nach 9" wird 20 Jahre alt
Interviewtermin bei der „III nach 9“-Redaktion von Radio Bremen. Redakteur Wolf Neubauer hat die Füße hochgelegt und dreht sich eine. „III nach 9“-Mitbegründer Rolf Thiesler sitzt entspannt zurückgelehnt und harrt der Dinge mit freundlichem Lächeln. Das kleine Büro besticht durch Büchertürme, Zeitschriftenberge und die gänzliche Abwesenheit moderner Kommunikationstechnik.
In dieser Oase der Besinnlichkeit entsteht die deutsche Talkshow mit dem längsten Atem. Auf die Frage nach den Anfangsjahren der vor 20 Jahren mit dem Arbeitstitel „Antimagazin“ angetretenen Sendung geht der Blick zurück in die Trotzphase des deutschen Fernsehens, die späten 60er und frühen 70er Jahre. SR-Renegat Dieter Ertel, u.a. für die legendäre „Zeitzeichen“-Reihe beim Süddeutschen Rundfunk mitverantwortlich, suchte beim „roten Sender“ Radio Bremen nach Gleichgesinnten für ein Live-Projekt, wie es im deutschen Fernsehen noch nie dagewesen war. Die WDR- Show „Je später der Abend“ mit Dietmar Schönherr besetzte damals das ARD-Talkmonopol. Live kamen außer der „Tagesschau“ bestenfalls Sport oder Gottesdienste auf die Mattscheibe.
Das Konzept der Sendung war so einfach wie spannend: Gäste einladen, Kanal auf und schauen, was passiert. Zur ersten ModeratorInnengeneration gehörten neben Marianne Koch (die aus der Gardinenwerbung) ARD-Unterhaltungsgott Wolfgang Menge und der damalige Radio-Bremen- Chefredakteur Gerd von Paczensky. Aufsehen erregte „III nach 9“ von Anfang an. Helmut Kohl auf seine Socken anzusprechen würde zwar heute keinen bayerischen Intendanten mehr hinterm Ofen vorlocken, war damals aber zumindest ungewöhnlich. Seinen Provocharme büßte „III nach 9“ zunehmend ein, nicht weil man braver geworden wäre, sondern weil nun auch die anderen das Maul aufrissen. Thiesler: „Bald standen in jeder Talkshow Caféhausstühle rum, Publikum hintendran, und es wurde getalkt, was das Zeug hielt.“ Das ZDF zog mit der ähnlich gestylten „Literatour“ nach, der große Bruder NDR fragte frech an, ob man das eigene Konkurrenzprojekt nicht einfach „III nach 9 aus Hamburg“ nennen dürfe.
Auf die Frage, was den beiden aus 20 Jahren „III nach 9“ besonders im Gedächtnis geblieben sei, erzählt Wolf Neubauer: Als man Anfang der 80er Jahre den Chef eines italienischen Privatsenders zusammen mit Peter von Zahn in die Sendung holte, um kommerzielles Privatfernsehen zu diskutieren, brannte kurz darauf die Luft in der auf Protektionismus bedachten ARD-Familie. Das bis dato relativ autonom agierende „III nach 9“-Team bekam einen Abteilungsleiter vor die Nase gesetzt. Das sind Barrikadengeschichten, erzählt von Talkshow-Veteranen um die 50, die in sympathischer Offenheit zugeben, daß man sich inzwischen im System eingerichtet habe.
In einer Talkshow-Landschaft der inszenierten Tabubrüche hat der Skandal als gesellschaftliches Phänomen seine Wirkung ohnehin verloren und ist zum bloßen Quotentreiber verkommen. Und Quoten oder, besser, Marktanteile erreicht „III nach 9“ immer noch mit seinem konservativen „Ausredenlassen“-Konzept. Zwischen 16 und 20 Prozent Stammpublikum ziehen die ModeratorInnen Giovanni di Lorenzo und Juliane Barthel am heiklen Freitagabend. Gedanken über neue Konzepte hat man sich in den vergangenen Jahren öfter gemacht. Doch warum grelle Kulissen und entfesselte Kameras, wenn der „III nach 9“-Kunde seit 20 Jahren mit der gewohnten Kost zufrieden ist. Es ist fraglich, ob sich das Format Talkshow überhaupt „aktualisieren“ läßt. Die Ausgangssituation ist immer gleich und die Sendung letztlich so gut oder so schlecht wie ihre ModeratorInnen und Gäste.
So setzt man in Bremen auf die Überraschungen des „subjektiven Faktors“ und genießt das öffentlich-rechtliche Refugium, während sich die Koschwitze und Gottschalks in ihren privat produzierten US-Formaten abstrampeln. Ohnehin flickt dem Flaggschiff des ARD-Zwerges Radio Bremen niemand mehr am Zeug. „III nach 9“ kostet nicht viel mehr als der Wetterbericht (pro Sendeminute knapp 600 Mark) und läuft und läuft und läuft. Letztlich lebt die dienstälteste deutsche Talkshow vom human touch, vom Aufeinandertreffen verschiedener Charaktere. Zu dieser Arbeitsweise gehört auch, daß Gäste nicht über eine Agentur, sondern über persönliche Kontakte gewonnen werden. Wenn die RedakteurInnen keinen Fuß in die Tür bekommen, dann folgt ein Promi ja vielleicht der Einladung eines Giovanni di Lorenzo, der als Redakteur der „Seite 3“ der Süddeutschen Zeitung journalistische Kompetenz garantiert. Die Zeiten, in denen Boulevardblätter titelten: „Fünf vor zwölf für III nach 9“, sind ganz bestimmt vorbei. Gefährlich könnte es für das TV-Monument allerdings noch einmal werden, wenn ZDF und Sat.1 ab Herbst zum Talk-Sturm auf den Freitagabend blasen. Gunter Becker
Die „III nach 9“-Jubiläumssendung läuft heute um 22 Uhr auf N3.
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