Antibabypille unter Krebsverdacht

Bundesbehörde droht mit dem Verbot von Schering-Medikamenten, weil einer der Wirkstoffe krebserregend sein könnte / Schering will das Mittel jedoch weiter verkaufen  ■ Von Michaela Schießl

Berlin (taz) – Der Börsenmarkt scheint sensibler zu sein als so mancher Hausarzt. Kaum wurde bekannt, daß die vom Pharmariesen Schering hergestellte Antibabypille „Diane 35“ und das Prostatamittel „Androcur“ als Krebserreger unter Verdacht stehen, sank die Aktie innerhalb eines Tages um 50 Mark.

Schuld am rapiden Kursverfall ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BIAM), das für Schering den Stufenplan 2 zur Abwehr von Arzneimittelrisiken ausgerufen hat. Der Nachfolger des Bundesgesundheitsamtes droht Schering damit, die beiden Medikamente, die den Wirkstoff Cyproteronazetat (CPA) enthalten, vom Markt zu nehmen, falls der Konzern bis zum 19. September keine entlastenden Befunde vorlegen könne. Grundlage dieser Drohung ist eine Untersuchung italienischer Wissenschaftler, die offiziell erst im September in Turin vorgestellt werden soll. Nachdem lange bekannt war, daß CPA auf die Leber von Ratten tumorbildend wirkt (Arzneimittelkursbuch 1992/93), testeten die Mediziner das Medikament an menschlichen Leberzellkulturen. Ihr Ergebnis: CPA verändert die genetische Zusammensetzung und kann so theoretisch zu Mutationen und so zu Krebs führen.

Schering hält dagegen, das Institut lasse die 20jährige Erfahrung mit CPA unberücksichtigt. Über 15 Millionen Patienten hätten Medikamente mit dem Wirkstoff erfolgreich verwendet, allein in Deutschland schlucken 390.000 Frauen „Diane 35“ zur Empfängnisverhütung, Aknebehandlung und gegen überstarken Haarwuchs. 210 Millionen Zykluspackungen seien bislang weltweit verkauft worden. Dies bedeute rechnerisch, daß mehr als 16 Millionen Frauen sie mindestens ein Jahr eingenommen hätten. Dabei sei über vier gutartige Lebertumore berichtet worden. Von „Androcur“, das bei Männern mit Prostatakrebs und bei Frauen mit schweren Anzeichen von Vermännlichung angewendet werde, seien 18 Millionen Packungen abgesetzt und nur eine Handvoll Lebertumore bekannt geworden. Daraus könnten keine generellen Risiken für Menschen abgeleitet werden, findet Schering-Sprecher Thomas Norpoth. Ganz und gar überzogen seien die Vorwürfe des BIAM.

Obgleich „Diane 35“ offiziell nicht als Pille geführt wird, steht sie in Deutschland mit 7,5 Prozent Marktanteil nach „Marvelon“ und „Lovell“ auf Platz drei der hormonellen Verhütungsmittel. „Diane“ und „Androcur“ erwirtschaften mit 400 Millionen Mark über ein Zehntel des Schering-Gesamtumsatzes. Grund genug also für den Multi, die Vorwürfe abzuwiegeln.

Doch auch Ellis Huber, kritischer Präsident der Berliner Ärztekammer, warnt vor Panikmache: „,Diane‘ macht nicht Krebs.“ Die Wirkung von Autoabgasen auf die Krebsentstehung beim Menschen sei weitaus gefährlicher als die von „Diane 35“. In geschickter Werbestrategie seien aber „Schönheit plus Pille“ verknüpft und damit auch Risiken verniedlicht worden. Huber empfahl den Frauen, die Pillenpackung zu Ende zu nehmen, den Arzt zu konsultieren und auf eine „echte Pille“ zur Verhütung umzusteigen. Es gebe genügend alternative Präparate.

Ganz und gar nicht schön findet diesen Vorschlag die Schering- Pressesprecherin Friederike Weber-Diehl und will einen nervösen Übereifer des Kontrollinstituts nicht ausschließen. Das BIAM ist Nachfolgeorganisation des Bundesgesundheitsamtes, das von Minister Seehofer wegen des Skandals um HIV-infizierte Blutkonserven abgewickelt worden war. „Wir waren sehr überrascht über die Reaktion, zumal keine andere Behörde Europas ähnliche Bedenken hegt.“ Zumal sei auf die Möglichkeit einer Leberschädigung, auch eines bösartigen Tumors in ganz seltenen Fällen, im Beipackzettel hingewiesen. Wie bei jeder anderen „Pille“ auch: Überall, wo Steroid-Hormone, etwa Gestagen, angewendet werden, besteht die Gefahr von Lebertumoren.