Die Moskauer Chaos-Tage des 008

■ Plutonium in Deutschland, ein überschuldeter Rechtsanwalt, ein dubioser Kronzeuge und eine verunsicherte russische Diplomatie: Vor der Moskau-Reise des Kanzleramtsministers Bernd Schmidbauer verwirrt ...

Plutonium in Deutschland, ein überschuldeter Rechtsanwalt, ein dubioser Kronzeuge und eine verunsicherte russische Diplomatie: Vor der Moskau-Reise des Kanzleramtsministers Bernd Schmidbauer verwirrt sich, was sich klären sollte

Die Moskauer Chaos-Tage des 008

Der Mann muß aufpassen, daß er bei seiner Ankunft nicht lauthals ausgelacht wird. Wenn der Bonner Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer wie angekündigt am Samstag in Moskau aus dem Flugzeug steigen wird, dann hat ihn längst die Nachricht von seinem jüngsten Flop überholt. Der CDU- Mann, der sich selber in den letzten Tagen zum obersten Fahnder in Sachen illegaler Atomschmuggel ausgerufen hat, wird den Russen den Marsch blasen wollen. Unsichere Atomanlagen wird er kritisieren, die mangelnde Kontrolle monieren, er wird auf eine verstärkte Kooperation der Nachrichtendienste aus der Bundesrepublik und Rußland bestehen. So mächtig er aber auch auftreten wird, zu Hause bricht derweil der mühsam aufgebaute Ruf zusammen.

Sie erinnern sich? Es war Mitte Mai. Der mutmaßliche Atomschmuggler Alfred Jäckle aus dem baden-württembergischen Tengen war gerade gefaßt. Sechs Gramm waffentaugliches Plutonium waren in seinem Besitz sichergestellt worden. Wenige Tage später durften wir dann das Konterfei Schmidbauers in den Medien bewundern. Die Botschaft des Kanzleramtsministers: Jäckle will auspacken, seine Hintermänner benennen, er wird die geheimen Schmuggelrouten offenlegen. Schmidbauer, von jeder falschen Bescheidenheit weit entfernt, verbuchte den Erfolg auf sein Konto. Ja, ließ der Geheimdienstkoordinator vernehmen, er habe Kontakt zum Geständniswilligen, ja, der Mann wird aussagen, wenn wir ihm im Gegenzug eine Erleichterung seiner Haftbedingungen versprechen. Schmidbauer, der in der eigenen Dienststelle schon mal als „008“ bezeichnet wird, präsentierte damit den ersten Kronzeugen im schmutzigen Atomgeschäft und versprach, dem Handel ein schnelles Ende zu bereiten.

Das war einmal. Aus, Ende, vorbei. Ein Flop war's, und zwar einer, der Schmidbauer die Karriere kosten könnte. Tatendurstig schrieb der Staatsminister einen Brief an einen der Rechtsanwälte des Beschuldigten Jäckle. An einen Herrn Gerhard Bätz. Mit Briefkopf „Staatsminister beim Bundeskanzler“ gab er dem Anwalt die Referenz an die Hand, er sei „in den nächsten Tagen in einer wichtigen unaufschiebbaren Angelegenheit für die Bundesbehörden tätig“. Landauf, landab wurden in dem Schreiben die Behörden aufgefordert, etwaige Termine mit Herrn Bätz „aufzuheben“. 008 war dabei aber entgangen, daß sich bereits der Gerichtsvollzieher an die Fersen des Anwaltes geheftet hatte, ihn wegen acht Haftbefehlen zum Offenbarungseid zwingen wollte. Bätz war hoffnungslos überschuldet. In der letzten Woche wurde ihm die Anwaltszulassung entzogen, jetzt droht ihm auch ein Ehrengerichtsverfahren.

Bätz wußte die Referenz aus dem Kanzleramt zu nutzen. Seine Gläubiger forderte er unter Vorlage des Schreibens auf, von Vollstreckungsmaßnahmen doch bitte abzusehen, auch mögen die Haftbefehle bitte nicht vollstreckt werden, schließlich sei er, wie das Schreiben beweise, für eine „nationale Angelegenheit von höchster Brisanz“ tätig. Und – peinlich, peinlich – dann wird all das auch noch in der vorgestrigen ARD- Sendung „Panorama“ aufgedeckt.

Schmidbauer wird bei seinem Moskauer Besuch aber nicht nur der Anwalt Bätz auf die Füße fallen. Nur zu gut können sich die russischen Sicherheitsexperten an die letzte Aktion des Geheimdienstkoordinators erinnern. Mitte letzten Jahres hatte Schmidbauer vollmundig die Enttarnung weiterer 2.000 ehemaliger Stasi-Spione in der Bundesrepublik angekündigt. Aufgefordert zu erklären, woher die Zahl denn komme, hatte 008 behauptet, dies gehe aus Unterlagen hervor, die der russische Geheimdienst zur Verfügung gestellt habe. Falsch. Der Kanzleramtsminister hatte, um die wahre Quelle – den amerikanischen Geheimdienst CIA – zu tarnen, schnell einmal den Russen den schwarzen Peter zugeschoben. Die sind seitdem auf den Bonner Koordinator schlecht zu sprechen.

Zu allem Überfluß ist dem Bonner Staatsminister nun auch noch der Kronzeuge abhanden gekommen. Adolf Jäckle mag nicht mehr. Ein anderer Anwalt Jäckles hat erklärt, sein Mandant habe „kein Interesse“ mehr, „irgendwelche Informationen oder Aussagen gegenüber unzuständigen Stellen zu machen“. Das war's wohl, dabei hätte es so spannend werden können. Am Rande der Parlamentarischen Kontrollkommission war nach Informationen von dpa am Mittwoch zu hören, Jäckle sei im Auftrag einer ausländischen Regierung aufgetreten. Das sei „zuverlässig“ in Bonn bestätigt worden. Jäckle habe über eine Vollmacht von mehr als 100 Millionen Dollar verfügt, um den Bombenstoff kaufen zu können. Andere Angaben sprechen von einer Bankbürgschaft – von welcher Bank aber, das konnten die Fahnder noch nicht ermitteln. Auftraggeber sollen der Irak oder Nordkorea sein. Das sind Spekulationen – ebenso wie die Frage, was Herr Schmidbauer seinen Moskauer Kollegen sagen will. Wolfgang Gast