Das Denken hörbar machen

■ Bei Radio Bremen ist die Hörspielredaktion das Dorado für Newcomer-Regisseure

Ja, tatsächlich es gibt sie noch die Hörspiele im Radio. Die meisten von uns werden eher zufällig darauf stoßen. Unterwegs auf der Autobahn, beim Suchen einer neuen Frequenz im angrenzenden Sendegebiet stößt man unvermutet mal auf Dialogfetzen im Äther. Und dann werden 99 Prozent weiter am Rädchen des Empfängers drehen und sich nicht eher zufrieden geben, bis sie genau den Musikgeschmack ihrer Wahl gefunden haben.

Auf ca. 1000 Hörer kann sich Rüdiger Kremer, Redakteur und Dramaturg bei Radio Bremen pro Sendung verlassen. Ob die niedigen Einschaltqouoten ihn frustrieren!? Warum er das macht? „Wer nach dem Sinn vom Hörspiel fragt, muß auch nach dem Sinn von Literatur fragen. Wir wenden uns in etwa an die Schicht die auch zu Lesungen geht.“ Das Massenpublikum sieht eh fern und da die Fußball übertragung.

In der kleinen Hörspielabteilung bei Radio Bremen werden pro Jahr zwischen 35 und 45 Hörspiele produziert. Gesendet werden die Hörspiele entweder als Kurzhörspiel bis 30 Minuten Länge oder als ca einstündiges Kunstwerk auf drei Sendeplätzen pro Woche. Reichlich allerdings ist das Angebot an Manuskripten. 150 bis 170 Hörspiele muß der Dramaturg pro Jahr lesen, immerhin jedes fünfte gelangt dann auf dem arbeitsteiligen Herstellungsweg ans Ohr des Hörers. Anfangs der Geldnot gehorchend, die es dem kleinen Sender nicht erlaubte große Honorare an anspruchsvolle Autoren zu zahlen, hatte sich der Sender auf die Talentschmiede geworfen. Rüdiger Kremer weiß: „Newcomer wenden sich an uns zuerst.“ Mittlerweile gibt es bei Radio Bremen zwar immer noch kein Geld für neue technisch hochgerüstete Aufnahmestudios, die Spezialisierung der Redaktion hat aber Früchte getragen. Bremen ist zu einer Hochburg für das literarische Hörspiel geworden.

Noch nach 1945 war die Situation völlig entgegengesetzt. Das Radio hatte noch keinen Konkurrenten TV im Nacken und die Sinnfrage für's Hörspiel tauchte auch noch nicht am Horizont auf. Immer noch die wichtigste Auszeichnug: „Der Hörspielpreis der Kriegsblinden“ wurde 1949 zum ersten Mal verliehen. Man schrieb und produzierte für Hörer, die eine Form von Theater ohne Szene erwarteten. Große Theaterregisseure wie Rudolf Noelte waren beteiligt. Die Autoren Günter Eich, Ingeborg Bachmann und Martin Walser schrieben fürs Medium. Bei Radio Bremen wurde auch ein junger Mann aus der Schweiz, der damals unbekannter Max Frisch uraufgeführt. Lange Jahre galt es nachzuholen und was in Deutschland während des Hitlerfaschismus nicht zur Kenntnis genommen worden war. Rüdiger Kremer erinnert: „Unvorstellbar, aber Namen wie Camus und Sartre waren einfach nicht bekannt.“

Erst in den späten 60erJahren beginnt eine Entwicklung, deren Auswirkungen heute die Ästhetik im Hörspiel bestimmen. Die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten lassen unterschiedlichsten Konzepte in den Köpfen der Autoren entstehen. Und die Realisierung dieser Akustischen Entwürfe verändert dann wieder unser aller Hörgewohnhieten. „Es herrscht heute ein völlig anderes Bewußtsein mit dem gehört wird.„ resümiert Rüdiger Kremer. Allen gemeinsam scheint nur noch eins zu sein: ein Umkehrbewegung. Früher spielten die Szenen, außerhalb des Kopfes, waren die Ohren nur der Ersatz für die Augen. „Jetzt höre ich dem Denken im fremden Kopf zu.“

Christiane Ohaus ist Hörspiel- Regisseurin. Vorbei die Zeiten wo der Geräuschemacher mit Erbsen und einem Backblech eine Imitation der Regengeräusches anstrebt. „Wenn wir heute Geräusche verwenden, dann ist es meist eine Ironisierung oder Abstraktion der natürlichen Geräusches. Man wird sich überlegen, was ist das Zentrale an dieser Waldstimmung, die ich darstellen will. Und man wird auswählen, nicht zum Rauschen der Blätter noch das Piepsen der Vögel addieren. Vielleicht wird es bei einen Knacken im Gebüsch enden, das optimal den Schrecken des Waldes zu Gehör bringt.“ Wie mühselig diese Suche nach dem richtigen Geräusch für Christiane Ohaus werden kann, erfährt nur, wer an der Produktion beteiligt ist. Nach der Besetzung der Schauspieler, deren Stimmen dem Text die sinnliche Farbe geben, ist das Geräusch ein wichtiges Mittel in den Produktionen der Hörspielredaktion. In den ästhetischen Weiterentwicklungen, die die Hörspiel- Autoren dazubringen nach immer neue Formen des Erzählens zu suchen, stellt im literarischen Hörspiel die Rezeptiosfähigkeit des Zuhörers die Schallgrenze dar. „Heute kann ich mit einem Satz einfach behaupten: Wir sind im Amazonas. Und der Hörer macht das mit.“ Es hat sich durch die Veränderung der Hörgewohnheiten, die nur Teil unserer dramatische veränderten Lebensituation ist Rezeptionfahigkeit des Zuhörers entscheidend verändert.“resümiert Rüdiger Kremer. Man hat hier, Großes vor. Die Ziele sind weit gesteckt. In Zukunft soll das literarische Hörspiel nichts weniger, als „Das Denken unserer Zeit hörbar machen.“

Susanne Raubold