Auf der Suche nach dem Glück

■ "Wanted"-Anzeigen: Abenteuerlust oder Suche nach einer Beziehung? / Nur wenige Gesuchte melden sich auf die Hilferufe / Ein Erhören kann auch Ernüchterung bringen

„Ich hätte sofort zuschlagen müssen“, ärgert sich Harald*, „sie kam direkt auf mich zu.“ Verärgert über die verpaßte Gelegenheit, entschloß er sich, dem Zufall seinen Lauf zu lassen. Der 31jährige gab unter dem Kennwort „Die Taube fliegt in den Süden“ eine Anzeige in einer Stadtillustrierten auf. Er wollte die Frau, die ihn vor einigen Wochen auf dem Alexanderplatz angesprochen hatte, unbedingt wiedersehen. Aber nicht um zuzuschlagen, sondern um seine damalige Scheu wettzumachen.

Unter der Rubrik „Wanted“ gab sich der Treuhand-Mitarbeiter als „FBI-Agent 0815“ aus, der „sehr, sehr gerne die Tassen gewinnen würde in Kennenlernen“. Eine „situationsbezogene“ Botschaft, die nur die eine Frau verstehen sollte. Unter Angabe seiner privaten Telefonnummer bat er die unbekannte Schöne, die keinerlei Scheu hatte, ihn auf der Betonpiste Alex anzusprechen, um Rückruf. Die Tage vergingen, und wie bei vielen anderen „Wanted“-Hilferufern konnte dem Schicksal nicht mehr auf die Sprünge geholfen werden. Seitdem schaut der Treuhand-Agent 0815 – unbewußt – von seinem Bürofenster aus hin und wieder auf das Gewimmel auf den Alex hinunter.

Für die einen ein Tabu, für die anderen normal – seitenweise füllen „Wanted“-Anzeigen Stadtmagazine, und Radiosender mutieren zur Kontaktbörse. Der eine wartet auf einen Anruf seiner Traumfrau, die er am Badesee getroffen hat und so hin und weg war, daß er seine Frage nach ihrer Telefonnummer auf dem Seegrund versenkte. Den anderen lassen die braunen Augen der Unbekannten nicht mehr schlafen. Oder eine Frau und ein Mann küssen sich im Tempodrom nach einem Konzert, um dann aber wortlos wieder getrennte Wege zu gehen. Als das Prickeln auf den Lippen nachläßt, wünscht sich die Frau in einer Anzeige noch einen Kuß – wie so oft zu spät.

Wie auf Steckbriefen werden dann Kleidung, Situation oder Ort des tatenlosen Geschehens beschrieben: „Café Savigny, 13.7., mittags“. Dort hatte Tobias* von der Freien Universität eine Frau getroffen, die er seit zwei Jahren schon öfters gesehen hatte – aus der Ferne. Aus Rücksicht auf seine Ex-Freundin, mit der er im Café saß, „der wollte ich das nicht antun“, ließ der verständnisvolle Ex- Lover die einmalige Gelegenheit ungenutzt vergehen, die Frau anzusprechen, die ihn „offensiv angemacht“ hat.

Also gab er eine „Wanted“-Anzeige auf: „Ich will Dich, will mit Dir mit dem Motorrad ins Grüne“, schrieb der 36jährige an die „Frau im blauen Kleid“. Er war verblüfft, als sie einige Tage später tatsächlich anrief. Drei Tage und drei Nächte ging die Post ab. So lange brauchte der Geisteswissenschaftler, um zu merken, daß sie zwar eine „wunderbare Frau“ ist, aber nur nicht für ihn. Der Zauber war verflogen, nachdem er mit ihr gesprochen hatte. Außerdem hat er eine feste Freundin, auf die es Rücksicht zu nehmen gilt. Aber sein Drang, „jetzt muß ich das mal machen, völlig kaltblütig, ohne zu überlegen“, war stärker als seine Treue. Das nächste Mal würde er es sich einfacher machen und die Anzeigenkosten sparen, sagt er. Denn er habe keine Probleme, jemanden anzuquatschen. Er denkt dabei an so originelle Ideen wie einen Zettel mit seiner Telefonnummer in das Bierglas des Objektes der Begierde zu werfen.

Auch Franziska*, die zum erstenmal unter „Wanted“ inserierte, gehört zu den wenigen, deren Hilferuf erhört wurde. „Laß uns noch mal U-Bahn fahren. Fand es so witzig, wie Du auf der Treppe hocktest“, schrieb die „Frau im grünen T-Shirt, mit dem Buch in der Hand“, nachdem die Sozialarbeiterin ein ganzes Wochenende damit verbrachte hatte, Für und Wider abzuwägen. Die „angenehme Energie“, die von dem Typ neben ihr ausgegangen war und der „witzige Blickkontakt“ beim Aussteigen siegten über ihre Zweifel. „Um das Glück zu finden, muß man auch was tun“, glaubt die 43jährige Kreuzbergerin, „wenn ich es nicht mache, ärgere ich mich.“

Erst am Montag, als sie bereits mit der Reisetasche in der Hand auf dem Weg zum Bahnhof war, entschied sie sich „ganz spontan“, die Aufforderung zur U-Bahnfahrt in die Tat umzusetzen. Zurück vom Trip nach Westdeutschland, klingelte das Telefon. Der Mann mit den energetischen Strömen setzte Franziska das Messer an die Brust: „Suchst du ein Abenteuer oder eine feste Beziehung? Was machen wir jetzt?“ Die zehn Jahre ältere Franziska schlug vor, U- Bahn zu fahren. „Mehr ist erstmal nicht drin“, gab sie ihm zu verstehen. Damit konnte er nicht umgehen, erklärt sie sich seinen Abschiedssatz, sich wieder zu melden. Was er nicht tat. Auch wenn die Energieströme irgendwie fehlgeleitet wurden, ist sie immerhin um eine „interessante Erfahrung“ reicher. Barbara Bollwahn

*Namen geändert