Holiday auf dem Yankee-Trail

Eine Woche perfekt inszeniertes Urlaubsvergnügen auf einem amerikanischen Luxusliner  ■ Von Volker Klinkmüller

Jede Menge Spektakel, Shopping und Sightseeing, Sonnenbaden, Schwimmen und Spiele, verspricht der unablässig sabbelnde Infotainer auf der MS „Holiday“ – und vor allem natürlich Schlemmen: „Ihr könnt täglich 24 Stunden futtern. Paßt auf, daß ihr nicht platzt!“ Für etliche Gäste, die das Warming-up aus breiten Plüschsesseln verfolgen, kommt die freundliche Warnung zu spät. Sie sind bereits hoffnungslos überfettet, wie es unter Amerikanern – und das sind immerhin fast alle der 1.600 Kreuzfahrer – nicht gerade selten ist. Überhaupt wird dieses Schiff für eine Woche zum Mikrokosmos der amerikanischen Wirklichkeit.

Vor wenigen Stunden hat der Ozeanriese in Miami, dem bedeutendsten Kreuzschiff-Hafen der Erde, abgelegt. Nun stampft der 46.000 Bruttoregistertonnen große Luxusliner Richtung Karibik. Eine tiefschwarze Rußfahne markiert die einwöchige Reiseroute zur mexikanischen Insel Cozumel, den steuerfreien Cayman-Inseln und der Trauminsel Jamaika. Die Amerikaner machen am liebsten vor ihrer eigenen Haustür Urlaub. Der soziale und ökologische Schaden, den Kreuzfahrten als schwimmende Variante des Massentourismus dort anrichten können, scheint kontrollier- und kalkulierbar. Denn als wichtigstes Kreuzfahrt-Revier der Welt haben die Paradiese der Karibik sowieso schon einen erheblichen Teil ihrer Unschuld verloren. Die Inselketten Westindiens sind zu einem einzigen Yankee-Trail verkommen.

Die meisten Passagiere haben sich mit dieser Kreuzfahrt einen lange gehegten Traum erfüllt. Eine schwimmende Ferienfabrik, die die Geselligkeit eines Club-Urlaubs mit der Abwechslung einer Rundreise und dem Service eines First-Class-Hotels kombiniert, hat ja irgendwo auch etwas Faszinierendes. Zünftig wird der Urlaubsbeginn an Bord gefeiert. Sechs Tanzbars und Discotheken locken mit Single-Parties und Live-Musik bis in den frühen Morgen. Wer sehen und gesehen werden will, flaniert über den Marmor des Promenadendecks. Andere möchten lieber erst die Lokalitäten des Ozeanriesen in den Griff bekommen. Neun Decks, acht Aufzüge und viele Treppen stiften Verwirrung, sorgen für neugierige, erstaunte, aber auch ratlose Gesichter. Denn letztendlich stellt sich das Problem, die eigene unter den 726 Kabinen wiederzufinden...

„Genieße Deinen ersten Tag auf See!“ schlägt die Bordzeitung am nächsten Morgen vor. Zahlreiche Frühaufsteher haben sich ihre Liegestühle schon zum Sonnenaufgang zurechtgerückt. Nur drei Wochen Urlaub im Jahr werden den US-Bürgern durchschnittlich zugestanden. Das reicht oft nicht einmal, um sich die begehrte Bräune zuzulegen. Spätestens als die Sonne im Zenit steht, sind die letzten Liegestühle weg. Hohe Rundumverglasung sorgt auf den beiden oberen Decks, daß Sonnenwärme pur und ohne störenden Fahrtwind konsumiert werden kann. Trotz Temperaturen von 40 Grad brutzeln die Passagiere regungslos dicht an dicht. Während die einen nach ihrer Körperlotion greifen, wollen andere die Wirkung der Sonnenstrahlen verstärken. Aus zischenden Zerstäubern zaubern sie eine kurzfristig kühlende, dann aber schnell verdampfende Wasserschicht auf ihre Körper.

Am späten Nachmittag tauchen die ersten Smokings und schulterfreien Abendkleider auf. Schiffskapitän Francesco Loffredo hat zur Cocktailparty eingeladen. Wer will, kann ihm die Hand drücken und sich dabei von den eifrigen Bord-Fotografen ablichten lassen. Auch auf dem Promenadendeck, wo zwei Fotostudios aufgebaut sind, geht ein Blitzlichtgewitter nieder. Singles, Ehepaare, Familien und Cliquen werden geschickt in Positur bugsiert, durch ein langgezogenes „Yeeaahh!“ zu fotogenem Lächeln bewogen. Eine überaus erfolgreiche Show der Eitelkeiten, wie sich am nächsten Tag herausstellt: die aufgebauten Fotowände zeigen fast ausnahmslos schöne Menschen. Kleider machen eben Leute ... erst recht, wenn sich guter Zwirn zu durchgestyltem Haar und knackiger Urlaubsbräune gesellt.

Die MS „Holiday“ hat Mexiko – und damit den kulturellen Höhepunkt der Kreuzfahrt – erreicht. Aus Playa del Carmen schrauben sich Tender heran, um die Passagiere auszuschiffen. Auf dem Festland warten bereits 20 heruntergekühlte Busse, die den Transfer zu den Ruinen von Tulum übernehmen sollen. Die auf Klippen errichtete Festungsstadt war im 15./16. Jahrhundert ein religiöses Zentrum der Mayas. Innerhalb weniger Minuten sind die eigentlich eher etwas dürftigen Überreste von Tempeln, Häusern und Palästen von den Menschenmassen in Shorts, Shirts und Sportschuhen erobert. In gebrochenem Englisch umreißen Fremdenführer die historische Bedeutung der Stätte, dann bleibt noch etwas Zeit zum Herumlaufen.

Fünf Stunden des sechsstündigen Ausflugs gehen – ohne daß sich irgend jemand darüber beschweren würde – für Transferfahrten drauf. Das Schiff ist schon weitergefahren und hat die vorgelagerte Insel Cozumel angelaufen. Der Nachmittag ist zum Schnorcheln, vor allem aber zum Shopping freigegeben. Wo was gekauft werden soll, dürfte inzwischen auch der dümmste Passagier begriffen haben. Dazu hat es an Bord schließlich schon eine ausführliche Shopping-Show gegeben und jede Menge Handzettel, wo die besten Geschäfte – oder vielmehr die, die mit der Schiffahrtslinie zusammenarbeiten – zu finden sind. Und die Kaufwut der amerikanischen Touristen kennt keine Grenzen. Das zeigt sich zwei Tage später beim Landausflug auf Grand Cayman. Die größte der drei Inseln, die sich wegen wunderschöner Korallenriffe, aber auch wegen ihrer verlockenden Steuerfreiheit großer Beliebtheit erfreut, fertigt die Kreuzfahrer auf ihre Weise ab.

Während der zweistündigen Inselrundfahrt mit kurzen Stopps bei den beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten – der Schildkrötenfarm und dem Hells-Post-Office – werden sage und schreibe vier Souvenirläden angesteuert. Diese müßten dem Massenansturm eigentlich gewachsen sein, platzen jedoch aus allen Nähten. Umgucken ist nicht möglich, Kehrtmachen erst recht nicht. Wie es den Kreuzfahrern gelingt, innerhalb weniger Minuten beachtliche Mengen bedruckter T-Shirts, riesiger Muscheln, bunter Korallen sowie karibischen Rums und klebrigen Rumkuchens zusammenzukaufen, bleibt rätselhaft. Vielleicht ist es ja gerade auch die – von platzverwöhnten US-Amerikanern als exotisch empfundene – Enge, die das Kaufverhalten so sehr beflügelt. Damit die Dollars auch an Bord hemmunglos ihren Lauf nehmen können, wurde jeder Passagier schon beim Einschiffen mit einer bordeigenen Kreditkarte ausgestattet. Durchschnittlich 2.500 Mark hat jeder Passagier für diesen Karibik-Trip bezahlt, doch das versteht sich nur als Anzahlung. Einträgliches Zusatzgeschäft dürfte der große Spielsalon sein, in dem ständig reges Treiben herrscht. Wer den Weg dorthin nicht von allein gefunden haben sollte, wird spätestens am dritten Tag mit Gratiscocktails zum Pokern, Face-up und Black Jack sowie an Roulettetische und einarmige Banditen gelockt. Ähnliche Heerscharen pilgern zum täglichen Bingo-Spiel in die „American Lounge“.

Tischkellner, Kabinenstewards und ihre Mithelfer erhalten nur einen Bruchteil ihres Lohnes von der Reederei: Mindestens 52.50 Dollar „Trinkgeld“ muß jeder Passagier – so „empfiehlt“ es die Bordzeitung – in die Kuverts stecken, die am vorletzten Abend unter der Kabinentür durchgeschoben werden.

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Vor allem die Kellner haben ihre Dollars redlich verdient. Der Service ist perfekt. 1.600 Gäste dreimal täglich in zwei Schichten in zwei riesigen Speisesälen abzufüttern ist kein leichter Job – dabei die Nerven zu behalten schon eine echte Kunst. Bis zu neun Gänge mit drei bis fünf Speisen, werden abends aufgetischt. Auch hier ist Showtime angesagt. Die Dessert- Platten balancierend auf dem Kopf, mal im karibischen Tanzschritt, mal im Fackelschein oder als Freibeuter kostümiert, defilieren die Kellner zwischen den Tischen, angetrieben vom frenetischen Beifall der Passagiere. Ein Dessert nur für die Augen, denn meistens sind schon alle satt.

Fische, die sich auf Schiffskurs tummeln, werden übrigens gleich mit satt. Schließlich geht ein Großteil der Köstlichkeiten gehäckselt über Bord. „Es ist unglaublich, was auf den Tellern liegenbleibt! Die Leute laden sich auf, als wäre es das letzte Essen“, klagt Gabriel Christ, deutscher Chefkoch aus Detroit. Auch nach mehreren Dienstjahren auf der MS „Holiday“ hat sich der 48jährige noch nicht an die gewaltigen Überreste gewöhnen können, die in seine Küche zurückkommen. Besonders vom großen Gala-Büfett, bei dem sich Passagiere die Hummerhälften noch auf den Vanillepudding zu türmen pflegen. „Weniger anbieten geht allerdings auch nicht“, glaubt Christ. „Weil die Amis doch den Überfluß brauchen!“

Das steht in besonderem Kontrast zum letzten Anlaufziel: Jamaika. Mit fast drei Millionen Farbigen ist die Insel relativ dicht besiedelt. Korrupte Politiker, mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit erzeugen eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Die eigene Armut steht in starkem Kontrast zum Reichtum der Weißen, die – wie zum Beispiel Mick Jagger und Diana Ross – in den kühlen Höhenzügen der Blue Mountains ihre Villen errichtet haben.

Regelrechter Haß hat sich besonders gegen die Amerikaner aufgebaut. Durch das zunehmende US-Engagement im Bauxit-Bergbau – dem dynamischsten und bedeutendsten Wirtschaftszweig der Insel – fühlen sich die Jamaikaner an ihre jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung auf den Zuckerrohrfeldern erinnert. Würden sich die Kreuzfahrer ihr Aufenthaltsrecht nicht durch harte Dollars erkaufen, würde man sie wahrscheinlich schnell auf ihre Schiffe zurückjagen. Die Preise im Touristenort Ocho Rios erreichen astronomische Höhen. Sage und schreibe 21 Dollar wird in den Shopping-Centern beispielsweise für einen stinknormalen Dia-Film verlangt. Allen voran zeigen die Hafenbehörden, was aus den Fremden herauszuholen ist: Für das achtstündige Anlegen der MS „Holiday“ kassieren sie rund 30.000 Dollar. Das ist für karibische Verhältnisse viel, aber immerhin schon ein Kompromiß. Beim Disput vor einigen Monaten hatte die Reederei mit sanftem Druck zur Mäßigung gemahnt – und ihre Touristen einfach ohne Tips und Touren an Land gesetzt.

Außer der MS „Holiday“ hat noch ein zweiter Luxusliner festgemacht. Die Invasion der Kreuzfahrer strömt über die Hafenpiers zum Festland. Dort hat sich bereits ein Empfangskomitee aus hartnäckigen Souvenir-Verkäufern aufgebaut. Gegen Greenbacks lassen sich die Erben Bob Marleys mit ihrer verfilzten Lockenpracht ablichten. Selten nur ein Lächeln.

Nicht weit vom Schiff finden sich die ersten Kneipen. Dumpfe Reggae-Rhythmen dringen auf die Straße, wo gelangweilt Prostituierte patrouillieren. „Ay man, take some Ganja!“ flüstern die Dealer. Der Anteil der Kreuzfahrer, der hier auf Abwege gerät, dürfte eher gering sein. Die meisten erfüllen ihre Träume von Abenteuer und Exotik im Dunn's Rivers. Eine naßkalte Eroberung unter den Wasserfällen. Während in den Stromschnellen bereits die Fotografen lauern, werden die Touristenketten Hand in Hand und mit rutschfesten Spezialschuhen die Felsen hinaufgeführt. Ein Besuch im Garten Eden, wenn nicht mehr Menschen den Flußlauf hinaufsteigen würden als Kubikmeter Wasser herunterfließen.

Letzter Tag auf hoher See. Eine lange Liste auf der Titelseite der Schiffszeitung ruft noch einmal die wichtigsten Bordaktivitäten der vergangenen Tage in Erinnerung: Volleyball und Aerobic, lautes Tontaubenschießen und lustige Kissenschlachten, intime Poolspiele und interessante Schiffsführungen, neun rauschende Parties, sechs professionelle Hauptshows, jede Menge stimmungsvolle Karaoke- und Tanzwettbewerbe. Entertainer und Animateure des sogenannten „Fun-Ships“ haben alle Register gezogen. Der Erfolg war grenzenlos. Das mag nicht zuletzt am relativ jungen Publikum gelegen haben. Eine europäische Reiseleiterin, die diesen Turn nun schon zum fünften Mal mitfährt, glaubt noch einen anderen Grund für den reibungslosen Ablauf der Kreuzfahrt zu kennen. „Die Amis sind die dümmsten Touristen der Welt“, meint sie unverhohlen. „Die machen einfach alles, was man ihnen sagt.“

Eigentlich ist es ja unmöglich, alle Aktivitäten der Kreuzfahrt mitzuerleben ... wenn da nicht das „Video-Diary“ wäre. Rund um die Uhr können die Geschehnisse des jeweils vorangegangenen Tages über die Bildschirme in den Kabinen abgerufen und später auf Kassetten zum Stückpreis von 39 Dollar mit nach Hause genommen werden. Es gibt fast nichts, was dem Bordfernsehen entgeht. Vor allem sorgt es dafür, daß sich die Urlaubsgemeinschaft näher kennenlernt. Spätestens bis zum Ausschiffen dürfte sich jeder schon mal im Bordfernsehen wiedergefunden haben. Viele hat es sogar zum Star gemacht. Zum Beispiel Norbert aus Germany, den das Publikum beim Tanz- und Karaokewettbewerb zum Sieger kürte. Nicht unbedingt, weil er den Elvis- Presley-Song so perfekt in die Banane (Mikrophonersatz) geschmettert oder trotz seines künstlichen Hüftgelenks gerockt hat. Entscheidend für den Sieg war wohl eher, daß er als Angehöriger der ausländischen Minorität und als fast 70jähriger die Gesetze des „Fun-Ship“ voll begriffen hat. Das finden seine Mitfahrer so toll, daß sie „Nobby“ noch Tage danach feiern und bejubeln.